Steigende Strompreise, steigende Benzinpreise. Das Portemonnaie von Herr und Frau Schweizer wird derzeit beansprucht. Nächstes Jahr kommen laut Experten nun noch höhere Krankenkassenprämien dazu. Um fünf bis zehn Prozent könnten die Prämien in der obligatorischen Krankenkasse ansteigen. Besonders ungemütlich, da die Prämien im aktuellen Jahr erstmals seit 2008 gesunken sind.
Reserven sind doppelt so hoch als das gesetzliche Minimum
Gleichzeitig halten die Krankenkassen milliardenhohe Reserven. Konkret 12.4 Milliarden im vergangenen Jahr, gemäss den aktuellsten Zahlen des BAG. Somit lag die sogenannte Solvenzquote letztes Jahr im Schnitt bei 207 Prozent.
Das ist mehr als doppelt so viel, wie das Gesetz verlangt. Eine Versicherung hat demnach so viele Reserven, um noch ein Jahr zahlungsfähig zu bleiben – auch wenn ein Ereignis eintritt, das ausserordentliche Kosten verursacht.
Die Kassen haben horrende Reserven angehäuft. Das ist Geld, welches die Versicherten in der Vergangenheit zu viel bezahlt haben.
Darum fordert Reto Wyss, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, den drohenden Prämienanstieg jetzt durch den Abbau der Reserven abzufedern: «Die Kassen haben horrende Reserven angehäuft. Das ist Geld, welches die Versicherten in der Vergangenheit zu viel bezahlt haben. Wir haben nach wie vor den nötigen Spielraum, um Reserven abzubauen.»
Die Forderung ist nicht neu. Der Bundesrat machte in der Vergangenheit bereits Druck, Reserven freiwillig abzubauen. Im 2021 haben die Kassen gemäss BAG dann einen Reserveabbau von 380 Millionen Franken angekündigt. Weiter forderte der Bundesrat die Kassen auf, Prämien knapp zu kalkulieren, um dann durch die Reserven auszugleichen.
Die Reserven werden im laufenden Jahr etwa um ein Drittel zusammenfallen.
Gemäss den Krankenkassenverbänden ist das nun aber einer der Gründe für den kommenden Jo-Jo-Effekt der Prämien. «Die Reserven hat man eben schon abgebaut. Und es ist jetzt eben dieser Jo-Jo-Effekt. Die Prämien müssen jetzt stark steigen», sagt Christoph Kilchenmann von Santésuisse.
Ein weiterer Abbau der Reserven sei gemäss Kilchenmann riskant: «Die stark steigenden Kosten kann man nicht mehr durch einen weiteren Reserveabbau abfedern. Die Reserven werden im laufenden Jahr etwa um ein Drittel zusammenfallen.»
Ein Reserveabbau gefährdet die finanzielle Sicherheit
Hauptgründe seien die Kosten, die viel stärker als erwartet gestiegen seien, Pandemiefolgen und das schwierige Börsenumfeld. «Würde man jetzt weiterhin Reserven einsetzen und einen Verlust kalkulieren im nächsten Jahr, dann würde das die finanzielle Sicherheit der Krankenversicherer ernsthaft gefährden», so Kilchenmann weiter.
Wyss vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund verweist dabei auf das Gesetz: «Selbstverständlich, ein wenig Reserven braucht es. Wir können uns hier sehr gut auf den Bundesrat verlassen, der eine Solvenzquote von 100 Prozent vorsieht. Mehr braucht es nicht. Heute sind wir bei einem Vielfachen. Da haben wir entsprechend Spielraum, um bei fast allen Kassen abzubauen.»
Mehr Klarheit im Herbst
Konkrete Zahlen zur Reservesituation Anfang 2022 liegen noch nicht vor und das BAG darf sich bis zur Prämienkommunikation im Herbst auch nicht zu einem Reserveabbau äussern. Sagt aber: «Die Solvenzquote der Kassen anfangs 2022 wird voraussichtlich zwischen 140 und 170 Prozent liegen. Es gibt also keine Hinweise dafür, dass die finanzielle Sicherheit der Kassen gefährdet ist.»
Die Frage, wie hoch Reserven sein sollen, dürfte das Gesundheitswesen – unabhängig von der Prämienhöhe nächstes Jahr – auch in Zukunft beschäftigen. Denn der Ständerat wird ein Vorstoss, der eine Maximalhöhe der Reserven verlangt, behandeln.