Pratteln – wer den Namen dieser Gemeinde hört, hat bis vor Kurzem wohl an alles andere gedacht als an den Schwingsport. Viele kennen den Ort nur von der Durchfahrt in Richtung Norden oder Basel, ihnen kommt zuerst die Autobahnraststätte in den Sinn. Oder sie denken an die Chemieanlagen im Gebiet Schweizerhalle oder den Möbelkonzern Ikea im Gewerbegebiet Grüssen.
Wir wollen uns von der besten Seite zeigen.
Nun steht die Baselbieter Gemeinde im Fokus des Schwingsports: Nach 2013 in Burgdorf, 2016 in Estavayer und 2019 in Zug findet am letzten Augustwochenende das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Pratteln statt.
Das Eidgenössische ist das grösste wiederkehrende Sportereignis der Schweiz und auch eines der grössten Volksfeste des Landes. Dass jetzt die Baselbieter Gemeinde Pratteln zum Zug kommt, hat folgenden Grund: Es gibt einen Turnus, der vom Eidgenössischen Schwingverband vorgegeben wird. Alle 15 Jahre stellt der Teilverband Nordwestschweiz den Gastgeber.
Innerhalb des Teilverbands war man sich schnell einig, dass das Fest im Baselbiet über die Bühne gehen soll. 1977 wurde das ESAF zuletzt in Basel ausgetragen, im alten St. Jakob-Stadion.
Ein erneutes Schwingfest in einem Fussball-Stadion war hingegen schnell vom Tisch. Die Bedenken aus der Schwingerszene waren zu gross. Ein anderer möglicher Standort – zwischen Aesch und Reinach – wurde aus Naturschutzgründen verworfen. Am Schluss entschied man sich für den Standort Pratteln.
Viel Enthusiasmus
Die Vorfreude im Baselbiet auf das erste Eidgenössische Schwingfest überhaupt im Kanton ist entsprechend gross. Seit Monaten arbeiten die Organisatoren rund um OK-Chef und Regierungsrat Thomas Weber (SVP) auf den Anlass hin.
Gemeindepräsident Stephan Burgunder (FDP) versprach im Vorfeld: «Wir wollen uns von der besten Seite zeigen.» Aus diesem Grund investierte die Gemeinde 750'000 Franken für diverse «Verschönerungsmassnahmen».
Die Vorbereitungen zum grössten Schweizer Sportanlass verliefen jedoch nicht ohne Probleme. Anfang Juni wurde bekannt, dass der Sicherheitschef Marcus Müller den Bettel hingeworfen hat.
Müller hatte Bedenken, wonach beispielsweise bei einer Massenpanik nicht genügend breite Fluchtwege zur Verfügung stünden. «Wenn wir nicht die nötigen Fluchtkorridore haben, sehe ich eine Gefahr. Es kann zu Gedränge und stürzenden Menschen kommen. Das darf nicht sein», hatte Müller gewarnt.
Das Sicherheitskonzept entspricht hohen europäischen Normen.
Aufgeschreckt durch die anschliessende negative Berichterstattung, luden die Organisatoren Mitte Juli zu einem Medienrundgang. Dabei versicherten die Verantwortlichen, dass sich die rund 300'000 erwarteten Besucherinnen und Besucher keine Sorgen machen müssten.
Nach der Kritik ging das OK über die Bücher und plante zusätzliche Fluchtwege ein. Ausserdem wurden bestehende Brücken verbreitert und die Sicherheitsverantwortlichen erhielten den Segen der Polizei.
Polizei-Vizekommandant Reto Zuber stellt dem Sicherheitskonzept ein gutes Zeugnis aus. «In Zusammenarbeit mit Fachbüros sind wir zum Schluss gekommen, dass das Sicherheitskonzept hohen europäischen Normen entspricht.»
Rassistische Beschimpfungen gegen ESAF-Botschafterin
Unschöne Szenen spielten sich zur gleichen Zeit im Internet ab. Die gebürtige Kosovarin Shqipe Sylejmani wurde in den sozialen Medien beschimpft. Sylejmani engagiert sich als Botschafterin des Schwingfests und tritt während des Fests an einem Trachtenumzug auf – in einer kosovarischen Tracht.
In Pratteln können wir besonders gut zeigen, dass die Schweiz viele verschiedene Seiten hat.
Für dieses Engagement erntete die Journalistin und Autorin heftige Kritik: «Albaner sind in der Schweiz nicht willkommen und werden es nie sein» – so lautete ein vergleichsweiser harmloser Post auf ihrem Kanal. «Bei mir löst dies Frust und Trauer aus», sagte Sylejmani daraufhin gegenüber SRF.
Auf eine Teilnahme am Umzug will sie aber nicht verzichten. «Von allen schönen Orten in unserem Land hat man sich mit Pratteln eine Gemeinde ausgesucht, die nur so vor Vielfalt strotzt. So können wir besonders gut zeigen, dass die Schweiz viele verschiedene Seiten hat.»
Migration hat in Pratteln denn auch Tradition: Menschen aus rund 100 Nationen leben derzeit in der Gemeinde mit rund 16'500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt ist das Längi-Quartier, in dem viele Migrantinnen und Migranten lebten und immer noch leben. Auf diese Vielfalt ist man stolz in Pratteln, wie auch auf die Vergangenheit als Industriedorf der Region Basel.
Kommt in einer Gemeinde mit einer solchen Geschichte überhaupt Schwing-Stimmung auf? Davon ist man beim OK des ESAF 2022 überzeugt, obwohl der Schwingsport in der Region Basel beim Nachwuchs nur auf geringes Interesse stösst.
Von einer grossen Begeisterung vor dem Schwingfest war in den Wochen vor dem Schwingfest noch wenig zu spüren. «Heute ist Basel keine Schwinger-Region mehr. Früher konnten wir grosse Erfolge feiern. Ich denke, das hat mit der heutigen Gesellschaft zu tun», sagte OK-Vize-Präsident und Ex-Schwinger Rolf Klarer bereits nach dem letzten Schwingfest in Zug.
Gerade im Kanton Basel-Stadt sei es schwierig, Nachwuchssportler für das Schwingen zu begeistern. Auf dem Land sei das noch ein bisschen einfacher, sagt Rolf Klarer. «Die Jungen in der Stadt haben eine andere Einstellung zur Tradition und sie interessieren sich eher für andere Sportarten, zum Beispiel den Fussball.»
Kranzanwärter aus der Region
Ein wenig grösser ist die Begeisterung dagegen im ländlich geprägten Kanton Baselland. Von hier kommen denn auch gleich mehrere Anwärter auf einen Kranz am Eidgenössischen: Samuel Brun, Roger Erb, Adrian und Jonas Odermatt sowie Lars Voggensperger wurden vom Nordwestschweizer Schwingerverband für eine Teilnahme am ESAF selektioniert.
Ob sie in der Region Basel das grosse Schwingfeuer auslösen können, wird sich zeigen. So ist man in Pratteln auch gespannt, wie gross der Aufmarsch an «Einheimischen» wirklich ist – oder ob diese am Wochenende lieber zum Shoppen in die Stadt oder zu Ikea im Grüssen fahren.