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Flug in die USA Hätte Netanjahu aus der Luft geholt werden müssen?

Vor vier Tagen flog der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Donald Trump in die USA. Die Maschine des Ministerpräsidenten überquerte gemäss öffentlich einsehbaren Flugdaten vom Portal Flighradar24 trotz bestehendem internationalen Haftbefehl auch die EU-Länder Griechenland, Italien und Frankreich. Die israelische Tageszeitung «Maariw» mutmasste daraufhin, dass Netanjahu absichtlich nicht über Länder wie die Schweiz geflogen sei, in denen er eine Verhaftung hätte fürchten müssen. Eine Einordnung mit dem diplomatischen Korrespondenten.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Hätten die Länder Netanjahu festnehmen müssen?

Im Prinzip ja. Die Mitgliedstaaten des Römischen Statuts, auf dem der Internationale Strafgerichtshof (ICC) beruht, sind verpflichtet, Personen, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, festzunehmen. Die Regeln sind da ganz klar. Aber es stellen sich natürlich praktische Fragen. Etwa: Wie verhältnismässig wäre es, ein Regierungsflugzeug vom Himmel zu holen und zur Landung zu zwingen? Hätte man dies gewollt, hätte man einen Mittelweg wählen und der Regierung Netanjahu ein Signal geben können: «Wir müssen euch festnehmen. Bitte fliegt nicht über unser Territorium.» Man kann davon ausgehen, dass man von Seiten der israelischen Regierung sondiert hat, ob ein Überflug problematisch sein könnte, und mehr oder weniger die ausdrückliche Zusicherung bekommen hat, dass nichts passieren wird.

Was macht der ICC?

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Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seine rechtliche Grundlage ist das 2002 in Kraft getretene Römische Statut. Dem Vertrag sind 122 Staaten beigetreten, darunter alle EU-Staaten. Grosse Staaten wie die USA, Russland, China oder Indien sind beispielsweise nicht dabei – und auch Israel nicht.

(Gelegentlich wird auch die deutsche Abkürzung IStGh für das Gericht verwendet)

Wie hätte die Schweiz bei einem Überflug reagiert?

Dazu gibt es nur Vermutungen. Bern hat sich in der Frage des Haftbefehls gegen Netanjahu bisher bewusst nicht positioniert. Man hofft wohl einfach, dass er in absehbarer Zeit nicht hierherkommt und sich die Frage nicht konkret stellt. Es gibt Überlegungen, was man machen würde, wenn Netanjahu zum Beispiel nach Genf käme, um bei den Vereinten Nationen aufzutreten. Die Schweiz würde ihn wohl nicht verhaften mit dem Argument: Netanjahu würde in diesem Fall nicht die Schweiz, sondern die UNO besuchen. Und als Gastland der UNO ist man verpflichtet, Gäste zu empfangen. Auch das ist keine Gewissheit, sondern eine Vermutung.

Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz

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Auf eine Anfrage von SRF, wie die Schweiz auf den Überflug der Maschine des israelischen Ministerpräsidenten reagiert hätte, antwortet eine Sprecherin des Bundesamtes für Justiz wie folgt:

«Die Schweiz hat das Römer Statut, das die rechtliche Grundlage des IStGH bildet, 2001 ratifiziert. Sie unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof, seine Unabhängigkeit sowie den Kampf gegen die Straflosigkeit in jeder Situation. Als Vertragspartei des Römer Statuts ist die Schweiz demnach verpflichtet, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten.  

Gestützt auf die Zusammenarbeitsverpflichtung mit dem IStGH müsste die Schweiz – sofern zu diesem Zeitpunkt ein entsprechender Haftbefehl bzw. ein darauf gestütztes Verhaftsersuchen des IStGH besteht – Benjamin Netanjahu bzw. die weiteren Beschuldigten bei deren allfälligen Einreise in die Schweiz grundsätzlich verhaften und das Überstellungsverfahren an den Internationalen Strafgerichtshof einleiten.

Betrifft der Haftbefehl ein amtierendes Staats- oder Regierungsoberhaupt, das nach dem Völkerrecht Immunität geniesst, so entscheidet der Bundesrat auf Antrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über die Immunitätsfragen, die sich bei der Vollstreckung eines Ersuchens stellen.»

Wie würde eine Verhaftung in der Luft ablaufen?

Der normale Weg wäre eine Anweisung der Flugsicherung, das Regierungsflugzeug zur Landung aufzufordern. Solche Anordnungen der Flugsicherung sind denkbar. Aber dass man das Flugzeug des Regierungschefs von Israel mit Kampfflugzeugen eskortiert und dann zur Landung zwingt, ist eher eine theoretische Vorstellung. Das scheint mir keine plausible Variante zu sein.

Kommt es je zu einer Netanjahu-Verhaftung?

Ob es sinnvoll war, dass der Gerichtshof einen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu erlassen hat, ist auch in vielen Mitgliedsstaaten des ICC durchaus umstritten. Einige Mitgliedstaaten hielten das von vornherein für keine gute Idee. Es ist auch zu beobachten, dass gewisse Staaten trotz ihrer Mitgliedschaft wieder eher auf Distanz zum ICC gehen. Wir sehen ja generell in der Weltpolitik, dass die internationale Justiz derzeit einen sehr schweren Stand hat. Ausserdem wird manchmal das Argument angeführt, dass Staats- und Regierungschefs und Aussenminister Immunität geniessen und darum nicht einfach verhaftet werden können. Das ist allerdings in der Satzung des ICC so nicht vorgesehen.

Auch der bevorstehende Rückflug von Benjamin Netanjahu aus Washington dürfte also problemlos verlaufen. Es ist davon auszugehen, dass sich die betroffenen Länder genauso verhalten wie beim Hinflug, also den Überflug gestatten.

Zwei ähnliche Beispiele aus der Vergangenheit

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  • 2015 ist der damalige sudanesische Diktator Omar al-Bashir für einen Gipfel nach Südafrika gereist. Er wurde dort nicht festgenommen, ist allerdings vorzeitig abgereist. Mutmasslich weil er das Risiko einer Verhaftung dann doch gegeben sah.
  • Wladimir Putin, der ebenfalls per Haftbefehl vom ICC gesucht wird, besuchte im vergangenen Jahr die Mongolei – ein Mitgliedstaat. Auch er wurde nicht verhaftet. Dass er eine Verhaftung zumindest teilweise fürchtet, zeigte sich allerdings im selben Jahr an einem anderen Manöver: Nämlich als der Kreml-Chef nicht zum G20-Gipfel nach Brasilien reiste. Ähnliches geschah im Jahr zuvor beim BRICS-Gipfel in Südafrika.

SRF4 News aktuell, 06.02.25, 16:55 Uhr ; 

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