«Medienhäuser müssen brennen», «Berset vor ein Kriegstribunal und hinrichten!» – auf Social Media und in Internet-Foren wird in den letzten Monaten vermehrt zu Gewalt aufgerufen. Urheber solcher Botschaften sind Menschen, welche die coronabedingten Einschränkungen im Alltag aufheben wollen.
Es bleibt aber nicht bei Drohungen. An der Demonstration gegen die Corona-Massnahmen in Liestal am 20. März, an der rund 8000 Menschen – viele von ihnen sinnigerweise ohne Masken – protestiert hatten, wurde ein Journalist von einem Teilnehmer blutig geschlagen. Der «Sonntagsblick» hatte darüber berichtet.
Der Autor des Artikels, Fabian Eberhard, beobachtet die Szene der Corona-Massnahmen-Kritiker seit deren Anfängen, geht an die Demonstrationen, verfolgt die Telegram-Chatgruppen. «Die Sprache und das Verhalten sind in den letzten Monaten zunehmend aggressiv geworden – auch verzweifelt», sagt er im Gespräch. Eine kleine Minderheit in der Bewegung rufe zu Gewalt auf.
Eberhard unterscheidet bei den Gewaltbereiten zwei Gruppen: «Zum einen sind das radikalisierte Corona-Skeptiker, die sich seit Monaten in einer Diktatur wähnen. Zum andern sind es Extremisten vom rechten Rand, die schon vor der Pandemie militant waren und jetzt eine Chance sehen, zuzuschlagen – und sich zunehmend in die Szene der Corona-Skeptiker einklinken.»
Der Journalist betont, dass ein Grossteil der Gruppierung friedlich für ihre Ziele kämpfen möchte. «Man distanziert sich dann aber oft nur halbherzig oder negiert gleich ganz, dass es gewaltbereite Leute innerhalb der Bewegung gibt.» Eine beliebte Verschwörungstheorie sei, dass die Gewaltaufrufe gegen Politikerinnen oder Virologen aus dem Staatsapparat selbst stammten, «von Geheimdienstlern etwa, die die Bewegung gezielt in Verruf bringen wollen».
Die Bewegung der Corona-Massnahmen-Kritiker umfasst von «besorgten Bürgern» über grüne Esoterikerinnen bis zu rechtsorientierten Personen ein breites gesellschaftliches Spektrum. Das sagt der Soziologe Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der unter anderem zu Extremismus und Gewaltprävention forscht. «Sie alle eint, dass sie einen gewissen Hang zu Verschwörungstheorien haben.»
Wer sind die Corona-Skeptiker? Forschungsprojekt der Uni Basel
Zwar gebe es bisher keine systematische Forschung, die ein wachsendes Gewaltpotenzial in der Szene der Corona-Massnahmen-Kritiker nachweise, doch die Beobachtungen von Medien sind aus Sicht des Soziologen richtig: «Es gibt Aufrufe zu Gewalt, und es wird verbal aufgerüstet.» Eine Radikalisierung sei bemerkbar. Ein Punkt sei aber durch Studien bewiesen, so Baier: «Je mehr man sich in Verschwörungstheorien verstrickt, umso eher ist man bereit, tatsächlich auch Gewalt anzuwenden.»
Umso beunruhigender sei denn auch, dass die Szene der Corona-Massnahmen-Kritiker ein Auffangbecken für Verschwörungstheorien darstelle. Eine akute Gefahr für schwere Gewaltvorfälle sieht Baier aber nicht: «Dafür braucht es eine Gruppe, die diese Ideologie als Legitimation für ihr Handeln betrachtet. Das sind meist jüngere Menschen. Viele in der Corona-Leugner-Szene sind aber zwischen 40- und 50-jährig. Das sind nicht diejenigen, die typischerweise politisch motivierte Gewalt ausüben.»
Trotz des Gewaltrisikos wäre es laut Baier problematisch, Proteste gegen Corona-Massnahmen zu verbieten: «Das könnte sogar dazu beitragen, dass sich eine Szene radikalisiert.» Die Proteste müssten aber durch die Polizei entsprechend kontrolliert werden. Man müsse die Kommunikation mit solchen Strömungen aufrechterhalten.