Im Frühling des letzten Jahres, kurz vor Abschluss der technischen Evaluation für einen neuen Kampfjet der Schweizer Armee, geschah im Bundeshaus Erstaunliches. Am 15. März trat dort der Sicherheitsausschuss des Bundesrates (SiA) unter Vorsitz von Verteidigungsministerin Viola Amherd zusammen. Ebenfalls vertreten: Justizministerin Karin Keller-Sutter und Aussenminister Ignazio Cassis. An der Sitzung nahmen zudem die Generalsekretariate der drei Departemente teil, was aussergewöhnlich war. Das Gremium nannte sich deshalb «SiA-spezial».
Die «SiA-spezial» fasste einen überraschenden Beschluss, wie Recherchen von Schweizer Radio SRF zeigen: Obschon die technische Evaluation der Kampfjets nach fast drei Jahren Dauer praktisch abgeschlossen war und der amerikanische F-35A weit oben aus schwang, gab der «SiA-spezial» allen Departementen den Auftrag, «politische Gegengeschäfte» mit den anbietenden Ländern zu evaluieren – mit den USA, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Nach dem Motto: Sagt, was ihr uns sonst noch zu bieten habt, wenn wir bei euch für sechs Milliarden Franken Kampfjets kaufen.
VBS-Chefin Viola Amherd, die bis heute betont, es dürften keine «politischen Gegengeschäfte» abgeschlossen werden, sobald ein Kandidat in der Evaluation deutlich vorne liegt, hat die Verhandlungen über solche Geschäfte also selber mitinitiiert. Zu einem Zeitpunkt, als ihr Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) bereits gewusst haben muss, dass der F-35A mit grossem Abstand das Rennen macht.
Verhandlungen mit Frankreich fortgeschritten
Zur Koordination der delikaten Verhandlungen wurde eine geheime Arbeitsgruppe eingesetzt – unter Leitung von Staatssekretärin Livia Leu aus dem Aussendepartement. Die Gruppe war hochkarätig besetzt: die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen, Daniela Stoffel, war dabei. Die Staatssekretärin für Wirtschaft, Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch. phasenweise auch Gabriel Lüchinger, persönlicher Mitarbeiter des damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin. Und Pälvi Pulli, Chefin Sicherheitspolitik im Departement von Viola Amherd!
Das VBS bestätigt gegenüber Radio SRF, dass es die Arbeitsgruppe gab und schreibt weiter: «Die Chefin Sicherheitspolitik hat die Chefin VBS über die Ergebnisse der Besprechungen in dieser Arbeitsgruppe jeweils informiert».
Zu berichten muss es viel gegeben haben. Vor allem mit Frankreich waren die Verhandlungen intensiv und mündeten am 23. Juni – eine Woche vor dem Bundesratsentscheid über die Wahl des neuen Kampfjets – in die Aufforderung des Bundesrats an Paris, die «politischen Gegengeschäfte» jetzt auch noch schriftlich zu garantieren.
VBS dementiert Beteiligung von Amherd
Wie kommt Bundesrätin Amherd dann aber zu ihren Vorwürfen gegen die Bundesräte Ueli Maurer und Ignazio Cassis? Diese sollen nach ihrer Darstellung im Monat Juni hinter ihrem Rücken mit Frankreich weiterverhandelt haben. Dies, obschon sie ihnen spätestens Anfang Juni mitgeteilt habe, dass der amerikanische F-35A in der Evaluation deutlich am besten abschneide.
Das VBS hält gegenüber Radio SRF daran fest, dass Bundesrätin Amherd nichts von anhaltenden Verhandlungen mit Paris gewusst habe. Und auch die Chefin Sicherheitspolitik (Sipol), Pälvi Pulli, nicht. Denn die geheime Arbeitsgruppe habe Anfang Mai zum letzten Mal getagt, beteuert das VBS: «Über Kontakte anderer Departemente mit Frankreich können wir uns nicht äussern. Die Chefin Sipol war sicher nicht involviert oder informiert über solche Kontakte.»
EDA stellt Existenz von Sondergruppe in Abrede
Wieso Pälvi Pulli ausgerechnet von den Verhandlungen mit Frankreich nichts gewusst haben soll, bleibt ein Mysterium. Und noch etwas ist merkwürdig. Das Aussendepartement, dessen Staatssekretärin Livia Leu die geheime Arbeitsgruppe leitete, reagiert auf Anfrage von Radio SRF mit einer überraschenden Behauptung: «Es existierte keine Gruppe unter der Leitung von Staatssekretärin Livia Leu, die sich mit aussenpolitischen Aspekten der Kampfjet-Beschaffung befasste.»
Das Aussendepartement dementiert somit die Existenz der geheimen Arbeitsgruppe, welche das Verteidigungsdepartement und zwei weitere voneinander unabhängige Quellen gegenüber Radio SRF bestätigen.
Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N), welche die Kampfjetbeschaffung untersucht, hat also noch einiges zu klären, bevor im September der Nationalrat über den Sechs-Milliarden-Kredit für den neuen Kampfjet entscheidet.