- Schweizer Gemeinden stossen mit der Betreuung der vielen ukrainischen Flüchtlinge finanziell und organisatorisch zunehmend an Grenzen.
- Die Beiträge, welche der Bund den Gemeinden bezahle, reichten bei weitem nicht, sagt der Vizepräsident des Schweizer Gemeindeverbandes.
- Nun reagiert der Bund: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) will beim Parlament einen Nachtragskredit in Höhe von rund einer Milliarde Franken beantragen, um die Betreuung der Geflüchteten zu verbessern.
Auf diese Herausforderung war keine Gemeinde vorbereitet: Seit Mitte Februar sind zehntausende Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz gekommen. Der Bundesrat versprach den Geflüchteten rasche und umfassende Hilfe, Zugang zum Arbeitsmarkt und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in der Schweiz. Einlösen müssen diese Versprechen jedoch die Gemeinden und diese zeigen sich zunehmend überfordert, wie Recherchen von SRF Investigativ zeigen.
Jörg Kündig, Vizepräsident des Schweizer Gemeindeverbandes und Präsident von Gossau ZH, kritisiert gegenüber SRF, dass der Bund zu grosse Versprechen gemacht habe in Bezug auf eine rasche Integration der Ukrainerinnen. «Die Ziele wurden zu früh und zu explizit genannt», findet Kündig und ergänzt: «Im Moment ist es grenzwertig. Die Gemeinden sind am Anschlag mit den personellen Ressourcen.» Die Flüchtlinge bräuchten intensive Betreuung, aber das bringe die Gemeinden organisatorisch und finanziell an die Grenze des Machbaren.
Verzweifelte Flüchtlinge
Zu spüren bekommen die Überforderung die ukrainischen Flüchtlinge, zum Beispiel Yelena und Yeva, die in Wirklichkeit anders heissen. Die beiden Frauen, die sich zuvor nicht kannten, wurden mit zwei weiteren Ukrainerinnen in einer kleinen Wohnung einer St. Galler Gemeinde untergebracht, sie haben zusammen ein Zimmer und teilen sich das Bett. Im SRF-Podcast «Hotspot» erzählen Yelena und Yeva, wie verloren sie sich fühlen in der Schweiz, wie verzweifelt sie immer wieder sind.
Einerseits reichten die 375 Franken Asylsozialhilfe, die sie nach eigenen Angaben monatlich von der Gemeinde erhalten, nicht wirklich für die Finanzierung der nötigsten Ausgaben. Sogar genug zu essen zu haben, sei mit diesem Budget schwierig. Daneben wünschten sich Yelena und Yeva aber vor allem die Unterstützung, die der Bund eigentlich versprochen hat.
Die Ziele wurden zu früh und zu explizit genannt.
Einen Deutschkurs jedoch können die beiden Frauen auch nach drei Monaten in der Schweiz noch nicht besuchen und bei der Suche nach einer Arbeitsstelle sind sie komplett auf sich alleine gestellt.
Obwohl beide unbedingt so bald wie möglich arbeiten wollen, ist der Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Begleitung kaum realistisch. «Ohne Arbeit werde ich krank», sagt Yelena resigniert. Doch auch wenn sie wollten, können viele Gemeinden kaum die nötige Hilfe bieten.
Beim Bund hat man die Probleme mittlerweile auch erkannt. Auf Anfrage von SRF Investigativ sagt das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass der Bundesrat beim Parlament einen Nachtragskredit in Höhe von rund einer Milliarde Franken beantragen wird. Wohin genau dieses Geld dann fliessen und ob auch Kantone und Gemeinden davon profitieren würden, das wird aktuell noch diskutiert.