Die Lebenserwartung ist ein Thema rund um die Abstimmungen zur AHV im März – schliesslich spielt es eine Rolle bei den Finanzierungsberechnungen, wie lange eine Rentnerin oder ein Rentner voraussichtlich eine Rente erhalten wird. Die Hintergründe kennt Johanna Probst, die beim Bundesamt für Statistik (BfS) für die demografischen Analysen verantwortlich ist.
SRF News: Wie hat sich die Lebenserwartung in den letzten Jahren entwickelt?
Johanna Probst: Wer sich die Kurve der Entwicklung der Lebenserwartung seit 1870 anschaut, sieht eine gewisse Abflachung in den letzten Jahren. Der Anstieg war früher deutlicher. Heute zeichnet sich eine Art Plateau ab. Dennoch ist immer noch jedes Jahr ein Anstieg zu verzeichnen – aber eben ein etwas weniger starker Anstieg als in der Vergangenheit. In der Schweiz wird davon ausgegangen, dass die Lebenserwartung noch weiter ansteigt, aber nicht mehr so schnell wie früher.
Was sind die Gründe dafür, dass die Lebenserwartung nicht mehr so stark ansteigt wie früher?
Das hängt damit zusammen, dass die Gewinne, die man machen konnte, bereits gemacht wurden. Insbesondere die Säuglingssterblichkeit wurde sehr stark zurückgedrängt. Diese hat früher die Lebenserwartung sehr stark gedrückt.
In den hohen Altersklassen sind durchaus noch medizinische Fortschritte möglich.
In diesem Bereich ist der medizinische Fortschritt so weit, dass man eigentlich nicht mehr viele «Gewinne» machen kann – die Sterblichkeit in den jungen Altersklassen kann also kaum mehr gesenkt werden. In den hohen Altersklassen dagegen sind noch medizinische Fortschritte möglich, gerade bei den kardiovaskulären Krankheiten und auch beim Gesundheitsverhalten. Hier können noch zusätzliche Lebensjahre gewonnen werden, wenn die Dinge sich in einem positiven Sinn entwickeln.
Und was konkret dämpft die Lebenserwartung?
Wir hatten jetzt gerade das Beispiel der Pandemie, in deren Zug mehr Menschen gestorben sind als in einem normalen Jahr. Solche Ereignisse sind nicht vorherzusehen, sie können aber jederzeit passieren. Tödliche Krankheitswellen waren in früheren Jahrhunderten viel häufiger und sie haben sehr viel mehr Todesopfer gefordert. Aber dennoch wurde uns durch Corona vor Augen geführt, dass es auch heute noch durch infektiöse Krankheiten substanzielle Anzahlen von Todesfällen geben kann.
Verschiedene Entwicklungen – wie etwa im Zusammenhang mit dem Klima – sind mit hoher Unsicherheit behaftet.
Die Erwartung ist nicht, dass sich das ständig wiederholt. Aber diese Möglichkeit gibt es. Verschiedene Entwicklungen, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Klima, sind mit hoher Unsicherheit behaftet. Schon jetzt sehen wir in Sommern mit starken Hitzewellen eine Übersterblichkeit oder eine erhöhte Sterblichkeit, die mit dieser Hitze zusammenhängt. In Zukunft könnte es im Sommer also mehr Todesfälle geben – falls der Klimawandel ein sehr grosses Ausmass annimmt.
Das Gespräch führte Andrea Jaggi.