Nach der «Kriegsrausch»-Aussage von Alain Berset hagelt es Kritik aus dem Ausland, im Inland und von Bersets eigener Partei, der SP. Nun räumt der Bundespräsident in einem Zeitungsinterview ein, er habe nicht die richtigen Worte gewählt. Wie ist diese Kommunikation zu erklären? Mark Balsiger, Politik- und Kommunikationsberater, ordnet ein.
SRF News: Kann es wirklich sein, dass ein so erfahrener Politiker aus Unbedarftheit so agiert?
Mark Balsiger: Wir dürfen davon ausgehen, dass Alain Berset sich immer sehr bewusst ist, was er sagen will, wann er es sagt und wie er es sagt. Und das gilt sicher auch für diesen Fall. In einem Interview Anfang März in der Zeitung «Le Temps» hat er dasselbe gesagt, denselben Ausdruck gebraucht für Kriegsrausch, nämlich «ivresse de la guerre». Das hat damals keinen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Haben Sie sich überlegt, welches Kalkül dahinter stecken könnte?
Zum einen will Alain Berset markieren, dass er zurück ist im Bundesrat. Er hatte schwere Turbulenzen in den ersten Wochen dieses Jahres. Wir erinnern uns an die Corona-Leaks, als systematisch Indiskretionen aus seinem Departement zum Ringier-Konzern flossen. Das will er jetzt korrigieren. Er will auch zeigen, dass er wieder eine der starken Figuren ist im Bundesrat. Aber möglicherweise hat er sich jetzt verkalkuliert.
Wenn wir schauen, wie die SP reagiert hat, hat das funktioniert?
Die SP ist 2019 bei den Wahlen in ein historisches Tief gefallen. Das heisst, in diesem Wahljahr sind weitere Verluste verboten. Man muss alles tun, um den Trend zu kehren, in dem die Partei seit langem ist. Co-Präsident Cédric Wermuth hat das sehr gut gemacht und in einem NZZ-Interview seinen Bundesrat kritisiert und die Position seiner Partei und von sich selber klar herausgeschält.
Er hat wahrscheinlich auch den einen oder anderen Fehler gemacht.
Und hat Bersets Strategie funktioniert, wenn wir ins Bundesratsgremium schauen?
Im Sturm des Moments vermutlich nicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, da sind sieben Alphatiere in diesem Gremium. Es gibt nicht wirklich einen dauerhaften Kitt, sondern die Atmosphäre ist geprägt von Misstrauen. Logischerweise sind alle darauf erpicht, sehr gut abzuschneiden in der Öffentlichkeit.
Da will Berset nach seiner schwierigen Phase mit den Corona-Leaks zurückkommen und sagen: «Ich bin nicht nur Bundespräsident, sondern ich habe eine klare Linie. Ich bin auf der Linie der Mehrheit im Bundesrat.» Im Gegensatz zu Verteidigungsministerin Viola Amherd, die ausgeschert ist und das Kollegialitätsprinzip verletzt hat, was bis jetzt kaum Thema war.
Wie schätzen Sie das imagemässig ein?
Er ist sicher ganz stark unter Beobachtung. Er hat wahrscheinlich auch den einen oder anderen Fehler gemacht. Was wir vorhin in der langen Zeit als Bundesrat und vorher als Ständerat kaum gesehen haben. Er läuft in einer eigenen Liga mit ganz wenigen anderen Politikerinnen und Politikern des Landes. In gewissen Kreisen im Parlament ist man Berset-müde. Das zeigt das schlechte Ergebnis, das er im Dezember geholt hat bei der Wahl zum Bundespräsidenten.
Wie sehen Sie das Image der Schweiz im Ausland?
Da ist enorm Druck aufgebaut worden in den letzten Monaten. Wir haben Botschafterinnen und Botschafter gehört, die die Schweiz eindringlich gebeten haben, bei der Unterstützung der Ukraine mitzumachen. Aber ich glaube auch, dass das schnell wieder in den Hintergrund rückt, weil letztlich ist das, was die Schweiz hätte machen können, bescheiden. Das wissen auch die Leute, die nahe an diesem Thema sind.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.