Bürgerliche Bundespolitiker reagierten am Sonntag gereizt auf den Ausgang der Autobahnabstimmung.
Nach dem wuchtigen Nein zum Autobahnausbau in der Romandie bekräftigte SVP-Präsident Marcel Dettling in der Westschweizer Tagesschau, was er schon im Deutschschweizer Fernsehen gesagt hatte: Verkehrsminister Albert Rösti solle Autobahnprojekte in Kantonen, die Nein sagten, nicht priorisieren.
In der Romandie sorgen Dettlings Äusserungen für Irritation. Auch im Tessin sind sie angekommen. Dort, und vor allem im Locarnese, macht man sich Sorgen um den weiteren Ausbau des Autobahnnetzes. Denn zwischen Bellinzona und Locarno staut sich der Verkehr seit Jahrzehnten durch die Magadinoebene. Locarno pocht deshalb schon lange auf eine Autobahnverbindung.
Bund befiehlt Marschhalt
Vor zwei Jahren hatte der Bundesrat für das 1.8 Milliarden Franken teure und elf Kilometer lange Autobahnteilstück grünes Licht gegeben. Damit wäre das Autobahnprojekt Locarno-Bellinzona bereit, um es ins nächste oder übernächste Autobahn-Ausbauprogramm zu nehmen. Aber vorerst passiert jetzt mal gar nichts.
Klar ist: Mit der Ablehnung durch das Stimmvolk sind die direkt betroffenen sechs Autobahnausbauprojekte vom Tisch. Doch nach diesem Entscheid überprüft der Bund unter anderem auch 24 weitere bereits weit fortgeschrittene Projekte mit einem Kostenvolumen von über 18 Milliarden Franken.
Die einzelnen Projekte laufen zwar weiter, aber in Bern wird geprüft, wann und ob man diese überhaupt für die nächsten Ausbauschritte berücksichtigt. Jerôme Jacky, Kommunikationschef des Bundesamtes für Strassen Astra, begründet dies damit, dass man nun erst einmal prüfen müsse, was das Abstimmungsresultat genau bedeute.
Zahlreiche Regionen betroffen
Im Tessin sind vom Entscheid nebst dem Projekt zwischen Locarno und Bellinzona auch der vom Bundesrat bereits favorisierte Ausbau zwischen Lugano und Mendrisio betroffen. Ein Marschhalt gilt auch für Projekte wie den Autobahnausbau beim Genfer Flughafen, Abschnitte im Waadtland, im Aargauischen, rund um Zürich, aber auch für die Umfahrung von Winterthur.
Von einer Abstrafung oder gar Racheaktionen gegenüber einzelnen Regionen will man beim Astra nicht sprechen. Betroffen seien sämtliche Nationalstrassenprojekte in der gesamten Schweiz, betont Astra-Kommunikationschef Jacky.
Fokus auf den öffentlichen Verkehr
In der Romandie hoffen Politikerinnen und Politiker der Linken, zum Beispiel SP-Nationalrat Roger Nordmann, darauf, dass Verkehrsminister Albert Rösti nun beim Ausbau des ÖV vorwärtsmacht. So etwa beim Umbau der Bahnhöfe Lausanne und Genf und dem Ausbau der Bahnlinie am Genfersee.
Nordmann sähe es gerne, wenn Rösti Ressourcen vom Bundesamt für Strassen ins Bundesamt für Verkehr verschieben würde. Dass der Verkehrsminister die Romandie für deren Nein zum Autobahnausbau bestrafen könnte, glaubt der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller nicht. Gerade unter Rösti seien ÖV-Projekte vorangekommen, so Feller.
Aber in einer Sache sind sich Nordmann und Feller einig: Dass SVP-Präsident Dettling seinen Parteikollegen Bundesrat Rösti auffordert, einzelne Kantone oder Regionen abzustrafen, halten sie für «schlechten Stil».