Bundesrat? Nein danke. Absagen häufen sich – auch mit neuen Argumenten: Die Familie ist wichtiger, das innere Feuer fehle. Ein Spiegel des Zeitgeistes? Auch die Überlastung der Institution Bundesrat offenbart sich – nicht zum ersten Mal. Adrian Vatter ist Direktor des Instituts für Politikwissenschaft und Professor für Schweizer Politik und spricht über «Luxusargumente» und dringende Reformen.
SRF News: Adrian Vatter, Sie forschen seit Jahren zum Bundesrat. Haben Sie die vielen Absagen überrascht?
Adrian Vatter: In dieser Häufung ist es überraschend, unerwartet. Es zeigt auch, dass die Partei auf dem falschen Fuss erwischt worden ist.
Die Familie sei wichtiger, es fehle das innere Feuer: Das sind neue Töne in der Argumentation?
Das reine Karrierestreben hat an Bedeutung verloren.
Hier kommt ein gesellschaftlicher Wertewandel zum Ausdruck. Interessanterweise rücken männliche Kandidaten Familie und Kinder stärker in den Fokus als vor 20, 30 Jahren. Das reine Karrierestreben hat an Bedeutung verloren. Hinzu kommen persönliche Gründe wie ein inneres Feuer, das fehlt. Das sind, in Anführungszeichen, Luxusprobleme oder Luxusargumente, welche frühere Kandidatinnen und Kandidaten weniger ins Feld führten. Es gibt also nicht mehr nur die berufliche Karriere, sondern auch andere, wichtige Pfeiler im Leben.
Sie weisen seit Jahren auf die Überlastung des Bundesrates hin, ein Indiz dafür könnte auch der Rücktritt des Bundesratssprechers und Vizekanzlers nach kurzer Amtszeit sein?
Das Gremium besteht seit 1848 aus sieben Personen. Er wurde von Napoleon in der Helvetik eingeführt. Wenn wir ins Ausland schauen, sehen wir 15-20 Minister und Ministerinnen, auch in Ländern, die ähnlich gross sind wie die Schweiz. Das heisst, wir haben eine sehr grosse Arbeitsbelastung. Der Bundesrat hat eine volle Agenda von morgens bis abends und ist zunehmend medialem Druck ausgesetzt.
Weswegen haben es Reformen so schwierig?
Eine Reform muss die Unterstützung nicht nur des Parlaments, sondern auch des Bundesrats haben. Sowohl eine Vergrösserung des Bundesrates von sieben auf neun, als auch ein längeres Präsidium bedeutet bei den einzelnen Mitgliedern einen Machtverlust. Aber alle, die im Bundesrat sind, möchten nicht Macht abgeben, sondern Macht gewinnen. Deshalb scheitern Reformen auch im Bundesrat.
Sowohl eine Vergrösserung des Bundesrates von sieben auf neun, als auch ein längeres Präsidium bedeutet bei den einzelnen Mitgliedern einen Machtverlust.
Es könnte sein, dass künftig nur noch zwei Frauen vertreten sind. Mit welchen Auswirkungen?
Ich bin erstaunt, dass dieses Thema keine dominante Rolle spielt, verglichen mit früheren Jahren. Wenn wir bedenken, dass insgesamt erst 10 Frauen im Bundesrat waren und über 110 Männer. Aus meiner Sicht sollte dies weiterhin ein wichtiges Vertretungskriterium sein und 2:5 würde dem Kriterium der Ausgeglichenheit nicht mehr Rechnung tragen.
In den USA werden Programme zur Frauenförderung zurückgefahren, kann dies Auswirkungen haben auf den Druck, Frauen in den Bundesrat zu wählen?
Im Moment fördert der Zeitgeist Frauenkandidaturen nicht. Wir hatten 2019 eine Frauenwahl. Da wurde stark mobilisiert, sehr viele Frauen wurden in den National- und Ständerat gewählt. 2023 wurden diese Werte nicht mehr erreicht. Andere Themen wie Sicherheitspolitik oder Wirtschaftspolitik sind in den Vordergrund gerückt.
Das Gespräch führte Karoline Arn.