Von den 32 Wolfsrudeln, die aktuell in der Schweiz leben, muss ein Minimum von zwölf Rudeln erhalten bleiben. Das hat der Bundesrat entschieden und gilt seit letzter Woche. Diese Mindestschwelle an Rudeln, die es braucht, damit der Wolf in der Schweiz überlebensfähig bleibt, sorgt für Diskussionen.
Bislang hatte der Bundesrat immer von einem Minimum von 20 Rudeln gesprochen, genau wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) oder die Weltnaturschutzunion IUCN. Auf Anfrage des SRF «Club» schrieb das Bundesamt für Umwelt (Bafu) diese Woche: «Es ist Sache des Bundesrates, die neuen Gesetzesbestimmungen zu konkretisieren.»
Sprich: Die Senkung der Mindestschwelle von 20 auf zwölf Rudel basiert nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern einer politischen Entscheidung. Das Bafu verweist gar auf einen internationalen Expertenbericht, der von ihm mitverfasst und mitfinanziert wurde. Auch dort wird für die Schweiz eine Mindestanzahl von 20 Rudeln empfohlen.
Der Bundesrat verstosse jedoch nicht gegen einen völkerrechtlichen Vertrag, sagt die Sprecherin von Umweltminister Albert Rösti. Die bundesrätliche Verordnung sei mit der Berner Konvention in Einklang.
Umweltorganisationen reichen Beschwerde ein
Anders sehen das die Umweltorganisationen «CHWolf» und «Avenir Loup Lynx Jura». Sie gehen von einer Verletzung aus und reichten bei der Berner Konvention Beschwerden ein. Nun wird der Ständige Ausschuss, das Leitungsgremium der Berner Konvention, entscheiden müssen, wer recht hat.
Roland Norer ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern. Er schätzt es als wahrscheinlich ein, dass die Berner Konvention zum Schluss kommt, dass zwölf Wolfsrudel in der Schweiz zu wenig seien. «Dann müsste die Schweiz ihre Regulierung anpassen, von zwölf auf wahrscheinlich 20 Rudel. Denn das ist die wissenschaftlich breit abgestützte Zahl.»
Will die Schweiz diese Anpassung nicht übernehmen, müsste sie aus der Berner Konvention austreten, sagt Norer. Der Jurist hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Wolf befasst und arbeitet an einem Buch zum Thema.
Die Konvention ist der einzige Vertrag zur Erhaltung der Biodiversität auf europäischer Ebene. Eine Kündigung würde ein schlechtes Signal aussenden, schrieb der Bundesrat im Februar in einer Antwort auf eine Interpellation.
Und doch könnte diese Forderung nun Aufschwung erhalten. So sagt etwa der Walliser Nationalrat und Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy: Sollte sich herausstellen, dass die bundesrätliche Verordnung die Berner Konvention verletzt, müsse ein Austritt der Schweiz diskutiert werden.
Bregy fordert allerdings keine endgültige Kündigung: «Wir müssten austreten, Vorbehalte bezüglich der Grossraubtiere machen und wieder eintreten.» Vorbehalte würden quasi eine Lockerung des Vertrags in bestimmten Bereichen wie dem Wildtierschutz bedeuten.
Im Moment sind noch viele Fragen offen. So wird nach einer Beschwerde mehrerer Naturschutzorganisationen vor dem Bundesverwaltungsgericht auch geprüft, ob die Verordnung gegen Schweizer Recht verstösst.
Was die Berner Konvention betrifft: Bis diese die Beschwerden beurteilt hat, könnten bereits neue Bestimmungen gelten. Denn die Verordnung ist befristet. 2024 wird der Bundesrat eine Vernehmlassung durchführen. Dann wird sich zeigen, ob er am jetzt eingeschlagenen Kurs festhält.