Ein schmerzendes Knie. Ein kurzer Besuch bei der Hausärztin. Und dann eine MRI-Untersuchung in der «Röhre». Als Patient ist es schwierig, die Leistung dieser Behandlung einzuordnen, geschweige deren Kosten abzuschätzen.
«Wir sprechen von 10 bis 15 Prozent der Leistungen im ambulanten Bereich, die zu Unrecht fakturiert werden. Auf die Branche hochgerechnet, sind dies eine Milliarde Franken», sagt Larisa Petrov. In ihrer Doktorarbeit hat sie die zu hohe Rechnungsstellung durch Ärztinnen und Ärzte sowie Spitäler untersucht.
«Hochgerechnet, ist das Sparpotenzial enorm», so Petrov. Sie betont aber, dass die meisten Leistungserbringer korrekt abrechnen. Es geht also nur um einige wenige Kostentreiber.
Ein typisches Beispiel: das Knie
«In der Radiologie beispielsweise beobachten wir bei der Standardbehandlung Knie MRI, dass die persönliche Betreuung durch den Facharzt systematisch fakturiert wird, obwohl der Patient diesen in den meisten Fällen gar nicht zu Gesicht bekommt», erklärt Petrov.
Als Patientin bin ich eher weniger gewillt, das Vertrauensverhältnis aufs Spiel zu setzen.
Die Patienten seien in einer sehr schwierigen Lage: «Letztlich sind sie die Leidtragenden. Angenommen, ein Facharzt hat 15 Minuten zu viel verrechnet – da bin ich als Patientin eher weniger gewillt, das Vertrauensverhältnis aufs Spiel zu setzen.»
Wie dem Kostenwachstum entgegenwirken? «Eine Möglichkeit ist das Setzen von Anreizen in Form von Pauschalen bei sehr homogenen Behandlungen, wie das beispielsweise auch in der Augenmedizin gemacht wird», meint Petrov. «Weiter könnten die retrospektiven Kontrollen flächendeckend durchgeführt werden.» Die dritte Variante wäre eine Sensibilisierung der Patientinnen und Patienten. Hier müsse man aufpassen, dass man nicht die Last auf die Patienten übertrage.
«Die Kontrollen sind sehr aufwendig», sagt Petrov. Aber: «Dank der Digitalisierung ist es heute möglich, die Daten der Krankenversicherer systematisch aufzuarbeiten und zu analysieren. Neu ist es auch möglich, Leistungserbringer zu identifizieren, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Behandlung einzelne Leistungen systematisch und ungerechtfertigt in Rechnung stellen.» Einige Krankenversicherer wendeten diese systematischen Kontrollen bereits an.
In der Missbrauchsbekämpfung konnten wir im letzten Jahr ungefähr 36.5 Millionen korrigieren.
«Insgesamt spricht man von zehn Prozent der Leistungen, die nicht korrekt sind», sagt auch Dieter Siegrist, Leiter der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Krankenkasse CSS. «Wir konnten im letzten Jahr bei einer Kontrolle von 23.5 Millionen Rechnungen 797 Millionen Franken korrigieren.» Jedoch beinhalte dies ebenfalls falsche oder doppelte Rechnungen. «In der Missbrauchsbekämpfung konnten wir im letzten Jahr ungefähr 36.5 Millionen korrigieren», so Siegrist. Sein Team wurde zuletzt deutlich aufgestockt.
Urs Stoffel, Mitglied des Zentralvorstandes der Schweizer Ärztevereinigung FMH und Tarifspezialist, stellt die Methodik und Hochrechnung der Studie infrage. «Auf die ganze Branche gerechnet, bezweifeln wir die 10 bis 15 Prozent stark.»
Mag man sich über die genaue Zahl vielleicht nicht einig sein, dem Tricksen bei der Abrechnung wollen aber wohl die meisten Einhalt gebieten. Denn: «Die einzelnen Leistungserbringer, die falsch abrechnen, bereichern sich zulasten ihrer Fachkollegen und zulasten der Allgemeinheit», so Petrov.