Die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule im zürcherischen Uetikon am See kennen ihn gut: den Sog, in den man auf den Social-Media-Plattformen geraten kann. «Für mich ist es jeweils sehr schwierig», schildert der 15-jährige Nicolas. «Du gehst einmal auf die App und kommst kaum mehr weg. Dabei möchte ich eigentlich noch andere Sachen machen.»
Es fühlt sich an wie eine halbe Stunde und dann merke ich, dass schon eine Stunde vergangen ist.
An Tagen, an denen Nicolas die Instagram-App gar nicht erst anklickt, tendiert seine Social-Media-Zeit dafür gegen null. Sein Klassenkamerad Cas schaut sich im Moment vor allem Videos mit spektakulären Tricks von Skifahrern an – und darin verliere er sich schon manchmal: «Es fühlt sich an wie eine halbe Stunde und dann merke ich, dass schon eine Stunde vergangen ist.»
Etwas mehr als eine Stunde im Schnitt, das sei ja noch im Rahmen, findet er, wenn er sich mit anderen vergleiche.
Man könnte in der Freizeit schon anderes machen, sagt die ebenfalls 15-jährige Violet. «Aber dann finde ich nichts Besseres, das ich machen könnte – und bleibe halt am Handy.» Am Vortag seien es ganze fünf Stunden gewesen, die sie auf Social Media verbracht habe, gibt Violet zu. Aber das sei eine Ausnahme, lacht sie. Und zwei Stunden davon habe sie auf der Plattform Snapchat mit einer Freundin telefoniert.
In der Deutschstunde an diesem Nachmittag in Uetikon geht es aber nicht um die eigenen Online-Aktivitäten; die Klasse bespricht – ausgehend von einem Theaterstück – einen bekannten realen Cybermobbing-Fall aus Deutschland, der medial hohe Wellen schlug. Ein Youtuber, genannt «Drachenlord», postet online zahlreiche Videos und erntet massenhaft Hasskommentare. Jene, die gegen ihn hetzen, haben ihn gar an seinem Wohnort aufgesucht. Trotzdem lädt der Youtuber Drachenlord weiterhin Videos hoch.
Parallelen zu klassischen Suchtmitteln
Der Deutschlehrer Philipp Wampfler liest die Fragen vor, die die Klasse notiert hat: «Wieso hört er nicht auf zu provozieren? Was bewegt eine Person dazu, alles aus dem Leben ohne Filter zu teilen? Weshalb tut man sich das an?» Vielleicht mache ihn die Aufmerksamkeit ja quasi süchtig, denn sie schütte im Hirn das Glückshormon Dopamin aus, mutmasst eine Schülerin.
Wenn sich jemand isoliert und nur noch am Handy ist, hat das meist mit Dingen zu tun, die nicht nur von den digitalen Plattformen ausgehen.
Man merkt: Die Jugendlichen wissen einiges über die Funktionsweise der sozialen Medien. Deutschlehrer Philipp Wampfler beschäftigt sich selbst intensiv mit den sozialen Netzwerken – die Ergebnisse aus dem neusten Suchtpanorama überraschen ihn nicht.
Wampfler sieht durchaus Parallelen zu klassischen Suchtmitteln. Die Plattformen seien darauf ausgerichtet, dass die Jugendlichen möglichst viel Zeit darauf verbringen. Er sagt aber auch: «Wenn sich jemand isoliert und nur noch am Handy ist, hat das meist mit Dingen zu tun, die nicht nur von diesen digitalen Plattformen ausgehen.»
Gemäss Suchtpanorama gibt die Hälfte der 15-Jährigen an, sie würden die Plattformen oft nutzen, um vor negativen Gefühlen zu flüchten. Das ist eines von mehreren Anzeichen, das auf eine problematische Nutzung der sozialen Netzwerke hindeutet.