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Verhandlungen Schweiz-EU Braucht es das Ständemehr bei der Aufspaltung der EU-Verträge?

  • Nach der Auftrennung des Vertragspakets mit der EU sprechen einzelne Rechtsexperten von einer neuen Ausgangslage.
  • Bei bis zu vier Volksabstimmungen dürfte ein einfaches Volksmehr genügen.
  • Das von den Gegnern geforderte Ständemehr verliert an Dringlichkeit.

Genügt für die künftigen Verträge zwischen der Schweiz und der EU dereinst ein einfaches Volksmehr an der Urne? Oder braucht es auch die Mehrheit der Kantonsstimmen – also ein Ständemehr? Über diese Frage streiten sich Expertinnen und Experten und die Politik seit Monaten. Ein Ständemehr könnte eine sehr hohe Hürde sein, sogar ein Aus für die neuen Verträge mit der EU bedeuten. Denn die Bevölkerung in den konservativen Kantonen wird dem neuen Vertragspaket mit der EU wohl eher nicht zustimmen.

Man versucht vom Rahmenabkommen wegzukommen.
Autor: Andreas Glaser Staatsrechtler, Universität Zürich

Indem der Bundesrat nun bis zu vier einzelne Referenden beabsichtigt – statt eine einzige Abstimmung über das ganze Paket – will die Regierung so ein Ständemehr vermeiden, vermutet Staatsrechtler Andreas Glaser von der Universität Zürich. «Man versucht ja insgesamt, vom Charakter eines Rahmenabkommens wegzukommen», analysiert Glaser. Es sei nun ein weiterer Schritt, dass der Bundesrat die bestehenden Abkommen von den neuen abtrenne.

Noch weniger Gründe für ein Ständemehr?

EU-Rechtsexpertin Astrid Epiney von der Universität Freiburg ist der Ansicht: Weil der Bundesrat das Paket jetzt aufteile, gebe es noch weniger Gründe, die für ein Ständemehr sprechen würden. «Das führt natürlich dazu, dass jedes der einzelnen Abkommen einen weniger weiten Anwendungsbereich haben würde», erklärt Epiney.

Der Bundesrat hat laut mehreren Quellen entschieden, das Vertragspaket mit der EU aufzuteilen. Bis zu vier einzelne Referenden wären damit möglich. Eines über die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge, und Referenden über die neuen Verträge, wie das Strommarktabkommen.

Astrid Epiney war immer der Meinung, ein Ständemehr sei nicht angezeigt. Das ergebe sich aus der Verfassung. «Da haben wir eine Bestimmung, die da sagt: Bei Beitritten zu supranationalen Organisationen und zu Organisationen kollektiver Sicherheit braucht es ein Ständemehr». Beim Abschluss des neuen Vertragspakets mit der EU sei aber weder das eine noch das andere der Fall.

Gegner der neuen Verträge wollen Ständemehr erzwingen

Die EU-kritische Vereinigung «Kompass Europa» des Milliardärs Alfred Gantner fordert allerdings ein obligatorisches Referendum mit einem Ständemehr. Auch die SVP und einzelne Kantonsregierungen erwarten, dass Bundesrat und Parlament die neuen EU-Verträge dem obligatorischen Referendum unterstellen und damit dem Ständemehr.

Staatsrechtler Andreas Glaser findet: Ein Ständemehr wäre bei der Abstimmung über die Weiterentwicklung der bestehenden bilateralen Verträge angezeigt. Denn mit der dynamischen Rechtsübernahme und dem Europäischen Gerichtshof käme es zu gewichtigen Veränderungen für die Schweiz. «Bei den anderen abgespalteten Verträgen kann man sich dann fragen, ob sie alleine die Qualität haben oder nicht, oder ob dann vielleicht ein fakultatives Referendum reicht», meint Glaser. 

Insgesamt dürfte mit der Aufteilung des EU-Vertragspakets die Dringlichkeit eines Ständemehrs abgenommen haben. Das ist wohl auch das Kalkül des Bundesrates.

Tagesschau, 18.12.2024, 18 Uhr

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