Das grosse Schweigen wurde gebrochen. Der ehemalige Vorzeige-Banker Pierin Vincenz musste in einem der bedeutendsten Wirtschaftsprozesse der letzten Jahrzehnte Rede und Antwort stehen. 15 Jahre ist es mittlerweile her seit dem ersten Übernahmedeal, bei dem sich der heute 65-Jährige, zusammen mit seinem ehemaligen Berater Beat Stocker, durch verdeckte Beteiligungen illegal um Millionen bereichert haben soll. Laut Anklage folgten drei weitere Firmenübernahmen nach ähnlichem Muster, bis schliesslich im Februar 2018 die Polizei vor der Türe stand und es ruhig wurde um das einstige Raiffeisen-Aushängeschild.
Jovialer Auftritt vor den Medien
Überhaupt nicht kamerascheu präsentierte sich Vincenz am ersten Verhandlungstag den Medien vor dem Zürcher Volkshaus, ganz nach gewohnter Manier: Jovial und selbstbewusst. Von Reue keine Spur. Entsprechend verlief auch die mit Spannung erwartete Befragung durch das Gericht. Nichts Kriminelles habe er getan.
Die verdeckte Beteiligung im Fall «Commtrain» erklärte der promovierte Betriebswirtschafter etwa mit seiner damaligen Unerfahrenheit, die Besuche in Stripclubs auf Geschäftsspesen mit der nötigen Beziehungspflege mit Geschäftsleuten. Sein ehemaliger Weggefährte Stocker bliess ins selbe Horn: Er habe das Thema der Eigeninteressen damals schlicht nicht auf dem Schirm gehabt, wobei er heute anders handeln würde. Falls es sich dabei um Schutzbehauptungen handeln sollte, sind es zumindest keine sehr kreativen.
Schwierige Beweisführung trotz akribischer Anklage
In einem insgesamt siebenstündigen Plädoyer zitierte die Staatsanwaltschaft auch aus Mails und Telefongesprächen. Wenn niemand einen «Seich» erzähle und sie sauber blieben, «können sie uns nicht knacken», soll Vincenz an Stocker geschrieben haben, als sich die Schlinge zuzog.
Die Anklage führte zudem ein aus ihrer Sicht zentrales Beweisstück an: Eine Notiz von Pierin Vincenz, welche die Aufteilung der Geldflüsse zwischen ihm und Stocker zeigen soll. Die akribische, jahrelange Arbeit der Staatsanwälte wurde deutlich, jedoch auch die Schwierigkeit, insbesondere die komplizierten Abläufe rund um die Firmenübernahmen nachzuzeichnen und illegale Handlungen herauszuschälen.
Eine für Vermögensdelikte verhältnismässig hohe Freiheitsstrafe von sechs Jahren fordert die Staatsanwaltschaft für die beiden Hauptangeklagten. Um eine Strafe in dieser Höhe ausfällen zu können, müsste das Gericht wohl den Tatbestand des Betrugs als erwiesen erachten, was verschiedene Rechtsgelehrte aufgrund der Anklageschrift als wenig wahrscheinlich erachten.
Freispruch gefordert
Einen vollumfänglichen Freispruch verlangte am heutigen Prozesstag der Anwalt von Vincenz. Der Zürcher Strafverteidiger Lorenz Erni ist spezialisiert auf grosse Fälle mit hohem Promi-Faktor und zählte schon Ex-Fifa Präsident Sepp Blatter oder den ehemaligen Swissair-Chef Philippe Bruggisser zu seinen Mandanten.
Dass Vincenz, so etwa im Fall Commtrain, seine Interessen hätte offenlegen und in den Ausstand treten müssen, bestreite man nicht, so Erni. Es sei aber verfehlt anzunehmen, dass Vincenz als Chef von Raiffeisen Schweiz und Verwaltungsratspräsident von Aduno alles nach seinem Gutdünken hätte herbeiführen können. Weiter strich Erni die Verdienste von Vincenz für die Unternehmen heraus, die allerdings beide als Privatkläger am Prozess teilnehmen.
Irreparabler Kollateralschaden
Für den Imageschaden bei Raiffeisen und Aduno, die heute Viseca heisst, müssen sich die Angeklagten im Strafprozess nicht verantworten. Wie auch immer das Urteil lauten wird, das nach weiteren Verhandlungstagen im März gefällt werden soll: Das Vertrauen in einen Wirtschaftskapitän und den Finanzsektor allgemein, wurde einmal mehr erschüttert. Daran könnte auch die Rückzahlung von mutmasslich illegal eingestrichenen Millionen nichts mehr ändern.