Yasmine Motarjemi fällt ein Stein vom Herzen: «Ich bin erleichtert, sehr erleichtert und glücklich, dass das Gericht die Manipulationen von Nestlé durchschaut hat», sagt die ehemalige Kaderfrau gegenüber SRF.
Begonnen hat Motarjemis Leidensweg vor etwa 17 Jahren. Seit der Jahrtausendwende arbeitete sie für Nestlé als Managerin für die weltweite Nahrungsmittelsicherheit. Dann stösst sie auf eine Häufung von Fällen, bei denen Säuglinge an Nestlé-Biskuits beinahe ersticken. Sie gibt nicht auf, bis die Rezeptur angepasst und das Mindestalter hochgesetzt werden.
Gemobbt und entlassen
Freunde gemacht hat sie sich damit nicht. 2006 wird ein Mitverantwortlicher des Biskuit-Problems zu ihrem direkten Vorgesetzen. Dieser beginnt, Motarjemi systematisch zu mobben.
Er entzieht ihr Projekte, zieht die Mitarbeiter ihres Teams ab, lässt sie nicht mehr als Referentin auftreten. Ihre Meldungen an die Chefetage bleiben erfolglos. 2010 wird sie entlassen. Ein Jahr später klagt sie.
Langwieriger Rechtsstreit
Tatsächlich gaben die erstinstanzlichen Richter Motarjemi Recht – zumindest teilweise. Die Richter anerkannten, dass Mobbing tatsächlich stattfand, entlasteten aber Nestlé als Arbeitgeber. Erst 2020 – in zweiter Instanz – wird der Konzern wegen Verstosses gegen das Arbeitsgesetz verurteilt, weil er eben zu wenig getan habe, um die Angestellte vor Mobbing zu schützen.
Nestlé zog dieses Urteil an das Bundesgericht weiter, das jedoch nicht auf die Beschwerde eintrat. Stattdessen ging der Fall an das Berufungsgericht zurück, das unter anderem über die Höhe des von der Klägerin geforderten Schadenersatzes befand.
Zwei Millionen Franken Entschädigung
Das Waadtländer Berufungsgericht bestätigte vergangenen Dezember, Yasmine Motarjemi sei in ihrer Existenz zerstört worden. Der Konzern muss seiner ehemaligen Managerin zwei Millionen Franken Lohnentschädigung zahlen, 100'000 Franken Anwaltskosten decken und einen symbolischen Franken Genugtuung zahlen.
Nestlé liess Ende Januar die Berufungsfrist verstreichen und hat somit das Urteil akzeptiert. Vom Fall Motarjemi will man am Genfersee aber gelernt haben: Seit ein paar Jahren können über ein internes Meldesystem Belästigungen und mögliche Missstände gemeldet werden. Zum Fall Motarjemi schreibt Nestlé: «Wir hätten den Fall weiterziehen können, da wir überzeugt sind, dass wir angemessene Massnahmen zum Schutz von Frau Motarjemi ergriffen haben. Wir möchten diesen Fall aber zum Abschluss bringen und hoffen aufrichtig, dass Frau Motarjemi nun nach vorne schauen kann.»
«Freude, Liebe und Leben verloren»
Doch die lange Zeit des Leidens hat Yasmine Motarjemi gezeichnet, das Urteil sei eine Genugtuung, sie habe aber einen hohen Preis bezahlt, sagt sie.
Ich habe 17 Jahre meines Lebens verloren, 17 Jahre, in denen ich nicht gelebt habe.
«Ich habe 17 Jahre meines Lebens verloren, 17 Jahre, in denen ich nicht gelebt habe. Ich habe Freude, Liebe und Leben verloren. Ich verlor meine Karriere, meine Gesundheit, meinen Seelenfrieden. Ich habe meinen finanziellen Status verloren, meinen sozialen Status. Und das macht das Leben sehr schwer», sagt sie.
Trotz des guten Endes bedaure sie auch, dass Nestlé das nun letzte und rechtskräftige Urteil des Berufungsgerichts nicht ans Bundesgericht weitergezogen hat: «Der Fall wäre vielleicht zu einem Präzedenzfall geworden. Und mein Kampf wäre für die Gesellschaft und andere Arbeitnehmende von Nutzen gewesen.»