Chinas Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Quartal im Vorjahresvergleich bloss noch um 0.4 Prozent gewachsen. Gegenüber dem ersten Quartal 2022 schrumpfte es sogar um 2.6 Prozent. Grund: die harten Lockdown-Massnahmen wegen Corona in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt. Eine Einordnung von Ausland-Redaktor Samuel Emch.
SRF News: Warum schwächelt die chinesische Wirtschaft derart im Moment?
Samuel Emch: Die Lockdowns im April und Mai haben die chinesische Wirtschaft stärker belastet, als das von Experten erwartet worden war. Präsent war bei uns ja vor allem das leergefegte Schanghai. Daneben waren aber noch 40 weitere Städte in China mehr als zehn Tage lang im Lockdown – niemand kaufte ein, Fabriken waren geschlossen, Häfen reduzierten den Betrieb. Das spiegelt sich jetzt in den Zahlen des zweiten Quartals wider.
Was bedeutet das für die chinesische Wirtschaft?
Es gibt einige Indikatoren, die auf eine rasche Erholung hindeuten. So schnellten die Exporte im Juni, als die Lockdowns wieder aufgehoben wurden, wieder nach oben, der Konsum legte wieder zu. Die Frage stellt sich jedoch, wie lange diese Erholung anhalten wird. So steckt der Immobiliensektor immer noch in der Krise.
Für China dürfte es schwierig werden, das angepeilte Wachstumsziel fürs laufende Jahr von 5.5 Prozent zu erreichen.
Und bei wichtigen Aussenhandelspartnern Chinas wie Europa oder den USA steigen die Zinsen, was dort die Konjunktur bremst, was wiederum auf den Handel mit China rückwirken könnte. Für China dürfte es also schwierig werden, das angepeilte Wachstumsziel fürs laufende Jahr von 5.5 Prozent zu erreichen.
Ist dieses Ziel überhaupt noch erreichbar?
Die chinesische Regierung versucht es mit staatlichen Stützungsmassnahmen. So wurde etwa der Kauf von Elektroautos subventioniert oder es gab Steuererleichterungen. Ausserdem werden regionale Infrastrukturprojekte vorangetrieben, was ebenfalls wirtschaftliches Wachstum generiert. Auch der Immobiliensektor wurde in manchen Regionen gestützt. Das alles soll Arbeit, Jobs und zusätzliches Einkommen für die Bevölkerung bringen.
Die Regierung in Peking will also die Wirtschaft stützen, gleichzeitig hält sie an ihrer Null-Covid-Strategie fest. Wie geht das zusammen?
Man versucht, harte Lockdowns von ganzen Städten – wie in Schanghai geschehen – möglichst zu vermeiden. Zudem gab es inzwischen einzelne kleine Lockerungsschritte in dieser Null-Covid-Strategie. So wurden etwa die Quarantänezeiten verkürzt.
Chinas Wirtschaft hat sich nach der ersten Corona-Welle 2020 sehr rasch erholt.
China versucht also, zusammen mit Stützungsmassnahmen, die angepeilten 5.5 Prozent Jahreswachstum doch noch zu erreichen. Die meisten Expertinnen und Ökonomen rund um den Globus halten dies jedoch kaum für möglich und gehen eher von 4 Prozent Wachstum aus.
Welchen Stellenwert haben die schlechten Zahlen des zweiten Quartals auf den Kongress Kommunistischen Partei im Herbst, bei dem Staatschef Xi Jinping wiedergewählt werden will?
Dieses einzelne Quartal dürfte kaum Einfluss haben. Die Null-Covid-Politik steht da eher im Zentrum – und hier werden die tiefen Fallzahlen in China als Erfolg verkauft. Da nimmt man den wirtschaftlichen Rückschlag in Kauf – in der Hoffnung, dass sich die Wirtschaft schnell wieder erholt. Schliesslich ist das auch 2020 nach der ersten Corona-Welle so geschehen.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.