«Es ist ein Rausch, der so heftig ist, dass man ihn nie mehr vergisst», sagt Michel Sutter. Mit 24 Jahren rauchte er zum ersten Mal Crack. Er war bereits alkoholabhängig und konsumierte Partydrogen.
Erst ist man entspannt, doch nach nur drei Minuten ist der Rausch vorbei, und man wird von einer unglaublichen Gier gepackt.
Doch mit dem Crack kam der Tiefpunkt. Sutter war schwer abhängig, lebte auf der Strasse und brach in Häuser ein, um sich seine Drogen leisten zu können.
Heute ist der mittlerweile 50-Jährige clean und bezeichnet Crack als die gefährlichste Droge: «Erst ist man entspannt, doch nach nur drei Minuten ist der Rausch vorbei, und man wird von einer unglaublichen Gier gepackt.»
Süchtige schlafen im Treppenhaus
Mehrere Schweizer Städte kämpfen mit Crack, besonders Genf. Seit Monaten bevölkern Süchtige das Quartier rund um den Bahnhof, und sie halten sich unter anderem im Treppenhaus von Wohnblocks auf. Anwohnende sind verzweifelt.
Vor einem Jahr schritt die Regierung ein und beschloss ein Massnahmenpaket, das unter anderem mehr Polizeipräsenz, mehr Schlafplätze und grössere Konsumräume beinhaltete. Doch die Lage ist noch immer angespannt, sagen Vereine und Politik.
In Zürich bildete sich 2023 eine Drogenszene im Park der Bäckeranlage, nachdem eine Drogenanlaufstelle an den Stadtrand verlegt wurde. Abhängige trafen sich im Park und rauchten in der Öffentlichkeit Crack. In den Medien kamen Erinnerungen an Platzspitz und Letten in Zürich auf.
Zwar konnten die Behörden die Szene schnell wieder auflösen. Doch Crack breitet sich weiter aus. In den Konsumräumen der Stadt Zürich wird täglich über 750 Mal Crack oder Freebase geraucht – ein Anstieg von 25 Prozent seit 2021, bestätigt die Stadt Zürich auf Anfrage.
In Basel bildete sich im Sommer 2023 ebenfalls eine offene Drogenszene. Seither sind die Abhängigen wieder weniger sichtbar im öffentlichen Raum, die Lage scheint sich beruhigt zu haben. Doch der Kokain-Konsum bleibt hoch.
In der Konsum- und Anlaufstelle Riehenring ist Kokain die meistkonsumierte Droge. Meist wird sie in Form von Crack oder Freebase geraucht. «Die Situation der Klientinnen und Klienten hat sich verschlechtert», sagt Leiter Horst Bühlmann.
Damit meint er unter anderem den psychischen Zustand: «Die Leute sind auffälliger, können auch aggressiv reagieren und das macht sie schwieriger vermittelbar für beispielsweise eine Wohnung.» Gemäss Bühlmann haben viele Abhängige dadurch noch mehr Mühe, eine Unterkunft zu finden beziehungsweise sie zu behalten.
Auch in Kleinstädten wie Brugg AG gibt es Probleme mit Crack-Süchtigen, insbesondere, wenn sie in der Öffentlichkeit konsumieren. Der Kanton Aargau arbeitet an einer Suchtstrategie, zieht nun aber konkrete Massnahmen vor. Unter anderem finanziert der Kanton Sucht- und Sozialarbeit in Brugg und Windisch. Das Pilotprojekt dauert von Februar bis Juli 2025.
Kokain so billig wie noch nie
«Es gibt eine Flut an Kokain, die in Europa landet», sagt Frank Zobel, Vizedirektor von Sucht Schweiz. Die heutige Situation sei anders als zu Zeiten des Platzspitz oder Letten. «Aber was gleich ist, ist der Schock», sagt er. In den 80er-Jahren war plötzlich eine grosse Menge Heroin im Umlauf. Dieses Mal sei es Kokain – woraus Crack oder Freebase hergestellt werden.
Der Preis von Kokain sinkt, während der Reinheitsgrad gleichzeitig steigt. Zusätzlich wird es immer einfacher, Kokain zu kaufen. «Man kann Kokain einfach auf der Strasse kaufen oder im Internet, dann bekommt man die Droge direkt nach Hause geliefert», sagt Zobel.
Gemäss dem Suchtexperten hängt dies mit der erhöhten Produktion der Droge zusammen. Gemäss dem «World Drug Report» der UNO ist die Kokainproduktion seit 2015 auf über das Zweieinhalbfache gestiegen.
Vor allem in Kolumbien, aus dem der Grossteil des weltweit produzierten Kokains stammt, wurde der Coca-Anbau stark erweitert. Dort hat der Staat während der Friedensverhandlungen mit der Guerilla die Kontrolle über weite Landesteile aufgegeben. Über die grossen europäischen Häfen landet das Kokain unter anderem in der Schweiz.
Heroin wird kaum mehr konsumiert
Während Crack immer mehr konsumiert wird, spielt Heroin heute keine grosse Rolle mehr. «Es gibt noch Heroinkonsumierende, aber wenn man die Zahlen der Kontakt- und Anlaufstellen in der Schweiz betrachtet, sieht man, dass sie nur einen kleinen Anteil ausmachen», sagt Zobel.
Von der Drogenhölle zum Badeparadies
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Bild 1 von 4Legende: In den 1980er- und 1990er-Jahren hatte Zürich ein schweres Drogenproblem: Tausende Süchtige bevölkerten erst den Platzspitz, dann den Letten. Keystone
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Bild 2 von 4Legende: Die Beschaffungskriminalität stand während der Letten-Ära auf dem Höhepunkt. Allein im Sommer 1994 wurden auf dem gleichnamigen Areal innerhalb von 14 Tagen bei Auseinandersetzungen mit Dealern drei Männer erschossen. Keystone
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Bild 3 von 4Legende: Heute gilt der Letten (zum Beispiel die Flussbadis am Oberen und Unteren Letten) als beliebter Treffpunkt im Sommer. Keystone/Ennio Leanza
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Bild 4 von 4Legende: Vom einstigen Drogenelend sieht man keine Spur mehr. Keystone/Alessandro Della Bella
Zum Beispiel wird in den Konsumräumen der Stadt Zürich nur noch in zwölf Prozent der Fälle gespritzt. Viele Süchtige, die Heroin konsumieren, nehmen die Droge bereits seit den 1980er- oder 1990er-Jahren. Gemäss Zobel gibt es heute kaum mehr junge Leute, die mit Heroin anfangen.
Süchtige steigen um
Doch wer nimmt überhaupt Crack? «Einerseits sind es Leute, die schon lange harte Drogen wie Heroin konsumieren, und dann auf Crack umsteigen», sagt Suchtexperte Frank Zobel. Denn die Droge ist im Vergleich mit anderen Drogen billiger und leichter zu bekommen.
Andererseits steigen Leute vom Kokain sniffen auf das Rauchen um. Der genaue Umfang des Crack-Konsums in der Schweiz ist jedoch schwer abzuschätzen, da es an spezifischen Daten mangelt.
Abhängige essen, trinken und schlafen nicht mehr
Kokain ist eine starke Droge und macht schnell abhängig. Wenn man die Droge in Form von Crack oder Freebase raucht, anstatt sie zu sniffen, gelangt sie schneller in die Blutbahn. Innerhalb von Sekunden folgt ein High, doch der Effekt lässt schnell wieder nach.
Gemäss Zobel haben Crack-Abhängige darum die Tendenz, häufig zu konsumieren. «Da sie dauernd in diesem Zyklus sind, vergessen sie zu essen, zu schlafen oder zu trinken», sagt er. Ihre Lebenssituation verschlechtert sich rasch, und viele verlieren ihren Job und ihre Wohnung.
Zudem zeigen sie teilweise aggressives Verhalten, nachdem sie den Stoff konsumiert haben und auf der Suche nach neuem sind. In mehreren Konsumräumen in der Schweiz musste darum mehr Sicherheitspersonal eingestellt werden. Die Aggression richtet sich jedoch in erster Linie nicht gegen die Mitarbeitenden, sondern gegen andere Süchtige.
Kokain-Abgabe wird diskutiert
Was sich bei der Bekämpfung des Drogenproblems in den 90er-Jahren als erfolgreich erwies, war die Heroinabgabe. Am 30. November 1993 wurde in der Schweiz erstmals Heroin an Süchtige abgegeben. Heute erhalten in der Schweiz rund 1750 Personen den Heroinersatz «Diacetylmorphin».
Dazu kommen rund 18'000 Personen, welche Methadon beziehen: bei diesem Heroinersatz bleibt das Drogen-High aus, dennoch wird die körperliche Sucht befriedigt.
Eine solche Behandlung gibt es bei Kokain nicht – oder noch nicht. Aktuell wird die Möglichkeit einer geregelten Kokain-Abgabe diskutiert. Doch sie ist umstritten. Allein schon, weil die Süchtigen Crack teils alle zwei Stunden rauchen müssen.
Noch immer die richtige Drogenpolitik?
Die Probleme mit Crack werfen die Frage auf, was in der Drogenpolitik falsch läuft. Suchtexperte Frank Zobel ist überzeugt, dass die Schweiz mit ihrem Viersäulenmodell (Repression, Schadenminderung, Therapie, Prävention) nach wie vor auf dem richtigen Weg ist. Das Modell, das in den 80er-Jahren entwickelt wurde, half, die offenen Drogenszenen zu beseitigen und die Ausbreitung von HIV zu stoppen.
«Es stimmt, dass man das Gefühl hat, dass man in manchen Regionen der Schweiz überfordert zu sein scheint mit dem Anstieg an Konsumierenden und der Zugänglichkeit der Droge», sagt Zobel. Es brauche unter anderem mehr Daten: «Wir müssen verstehen, wer diese Leute sind, die Crack konsumieren und welche Massnahmen es braucht.»
Es benötige zudem mehr Austausch von Betroffenen, Polizei, Medizin und Sozialarbeit. Man müsse, wie zu Platzspitz-Zeiten, wieder mehr auf die Strasse gehen, experimentell arbeiten und Pilotprojekte starten. «Wir müssen in den Modus kommen, der uns dazu bringt, Probleme pragmatisch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu lösen», sagt er. Wie vor 30 Jahren im Umgang mit dem Heroin.