Friedensverträge – das war gestern. Viele Kriege enden heute nicht mehr mit einem Friedensschluss, sondern mit einem Waffenstillstand. Denn der Widerstand von Konfliktparteien gegenüber umfassenden politischen Lösungen hat in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen.
Es fehlt das Vertrauen, sagt Siri Rustad vom Friedensforschungsinstitut PRIO in Oslo. Am Vertrauen fehle es, weil die Konflikte immer komplexer würden. Oft stehen sich mehrere Parteien gegenüber – verschiedene Milizen zum Beispiel, im Hintergrund unterstützt von Staaten mit eigenen Interessen.
Mit steigender Komplexität sinkt das Vertrauen
Vertrauen aufzubauen in zunehmend komplexen Krisen, ist schwierig. Was schwer durchschaubar ist, macht misstrauisch. Daher liegt der Fokus von Mediatorinnen und Vermittlern beim Friedensaufbau heute vor allem auf Waffenstillständen. Ziel ist es, die Gewalt zu stoppen.
Aber Waffenstillstände sind nicht a priori friedlich. Sie haben auch eine dunkle Seite: Kriegsparteien nutzen sie häufig, um sich in eine bessere Position zu bringen. Sie rüsten auf, gruppieren sich neu, rekrutieren Kämpfer und festigen ihre Herrschaft in eroberten Gebieten.
Die dunkle Seite des Waffenstillstands
So wird «Peace Building» zum Risiko und aus einer vertrauensfördernden Massnahme eine vertrauensschädigende Aktion. Das wissen auch die Konfliktparteien.
Auch deshalb würden heute im Verhältnis weniger Waffenstillstandsabkommen geschlossen als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 30 Jahren, sagt Waffenstillstandsforscherin Siri Rustad.
Das zeigen die Daten der noch jungen Waffenstillstandsforschung und sie zeigen auch: Die Tage vor dem Inkrafttreten eines Waffenstillstands sind oft besonders blutig. Die Parteien eskalieren, um vor der Ruhe noch maximale Gewinne zu erzielen – so geschehen auch im Gazastreifen.
Paradoxe Interventionen und kleinste Schritte führen weit
Konfliktmediatorinnen nutzen daher neue Wege zur Vertrauensbildung. Eine Strategie ist es, eben gerade nicht über einen Waffenstillstand zu sprechen, stattdessen auf politische Gespräche zu setzen, während weitergekämpft wird. Das ist für Kriegsführer leichter zu akzeptieren als ein Waffenstillstand, der ihnen als Schwäche ausgelegt werden könnte.
Im Kleinen zu beginnen ist ein weiterer Ansatz, um Gewalt einzudämmen. Abseits umfassender politischer Verhandlungen. Zeitlich und lokal begrenzt. Das können kurze Feuerpausen sein: an Markttagen, an religiösen Feiertagen oder wenn Hilfslieferungen ankommen. Massnahmen, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung und für militärische Zwecke uninteressant.
Gesetzmässigkeiten in gesetzlosen Zeiten
In fast allen Kriegen der letzten Jahrzehnte stellten die Parteien das Feuer zumindest zeitweise ein. Das bestätigt auch der erste umfassende Datensatz zu den Bürgerkriegen der letzten 30 Jahre, den Siri Rustad vom Osloer Friedensinstitut PRIO zusammen mit ihren Kolleginnen vom Center for Security Studies an der ETH Zürich zusammengetragen hat.
Israel gehört – neben Sudan, Indien, den Philippinen und Syrien – zu den Ländern mit den meisten Waffenstillständen. Von 1989 bis 2020 hat Israel 103 Waffenstillstände geschlossen. Der aktuelle wird kaum der letzte sein.