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Schweizer Stahlindustrie Tiefere Stromkosten für Stahlwerke: Hilft das wirklich?

National- und Ständerat wollen der Stahlindustrie unter die Arme greifen. Ob die Stahlwerke die Hilfe nutzen, ist unklar.

Das ist die Hilfe für die Stahlwerke: Der Bundesrat soll den angeschlagenen Schweizer Stahlwerken helfen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat im Grundsatz beschlossen, dass zwei Schweizer Stahlwerken – und zwei Walliser Aluminiumgiessereien – ein Teil der Stromnetznutzungsgebühren erlassen werden soll. So sollen Betriebe wie die Stahl Gerlafingen im Kanton Solothurn oder Swiss Steel im Kanton Luzern vorerst von den geplanten Entlassungen absehen. Es fehlt nur noch die Schlussabstimmung im Parlament.

Meinungen im Ständerat gingen auseinander

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Wahlresultat Ständerat
Legende: Am Ende entscheidet der Ständerat mit 25 gegen 17 Stimmen, der Stahlindustrie zu helfen. SRF

Im Kanton Luzern, wo die Swiss Steel Group ihren Sitz hat, sind die politischen Meinungen gespalten. FDP-Ständerat Damian Müller machte sich im Parlament stark für eine staatliche Unterstützung. Er führt unter anderem ökologische Argumente ins Feld. Ein Grossteil des produzierten Stahls sei eingeschmolzenes Altmetall. «Haben wir diese Kreislaufwirtschaft nicht mehr in der Schweiz, bedeutet das Zehntausende von Mehrfahrten ins Ausland. Das macht weder wirtschaftlich noch ökologisch Sinn.»

Seine Luzerner Ratskollegin Andrea Gmür von der Mitte-Partei widerspricht ihm. Die Stahlindustrie sei seit 25 Jahren in der Krise, weil zu viel Stahl produziert würde und wegen des starken Frankens. Man müsse nun den Markt spielen lassen. Ausserdem würde mit den Subventionen eine einzelne Branche unterstützt, was unfair sei. «Wir haben im Kanton Luzern auch ein Papierunternehmen. Wieso sollten wir nicht auch dieses unterstützen, wenn es anklopft?»

Gut 37 Millionen Franken: Konkret soll den vier Werken Stahl Gerlafingen, Swiss Steel in Emmenbrücke und die Walliser Aluminiumgiessereien Constellium und Novelis zwischen 1. Januar 2025 und dem 31. Dezember 2028 ein Teil der Gebühren für die Nutzung des Stromnetzes erlassen werden. Der Rabatt auf die Strompreise macht geschätzt gut 37 Millionen Franken aus.

Kundgebungen vor den Stahlwerken

Es gibt Bedingungen: Zur Absicherung sollen die Unternehmen Standortgarantien abgeben. Halten sie die Auflagen nicht ein, müssen sie Subventionen zurückzahlen. So dürfen die Stahlwerke Aktionären nicht nur keine Dividende auszahlen, sondern neu auch keine Boni an Verwaltungsrat oder Geschäftsleitung. Der Schweizer Produktionsstandort muss nicht nur erhalten werden, es braucht neu auch einen Businessplan, wie das geschehen soll.

Stahlwerk von aussen
Legende: Das Stahlwerk Gerlafingen hat schon mehrere Krisen überstanden. Wie geht die aktuelle Krise aus? Keystone/Christian Beutler

So reagieren die Stahlwerke: Swiss Steel selbst fordere die finanzielle Unterstützung nicht, wie das Unternehmen auf Anfrage von SRF schreibt. «Wir fordern keine Subventionen, sondern gleiche Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb.» Es sei Aufgabe des Unternehmens, «mit veränderten wirtschaftlichen Bedingungen umzugehen». Man schätze das Commitment und nehme den Beschluss zur Kenntnis. Für eine Einschätzung sei es noch zu früh. Die Stahl Gerlafingen will sich momentan dazu nicht äussern, heisst es auf Anfrage.

Erleichterung am Standort Gerlafingen

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Philipp Heri, Gemeindepräsident in Gerlafingen, ist erleichtert über die geplante Staatshilfe für das Stahlwerk. «Ich bin froh, kam es so. Das ist ein Höhepunkt von all dem, was man in den letzten Wochen versucht hat, auf Gemeinde, Kantons- und Bundesebene.» Das Ziel sei es, die Arbeitsplätze in der Region zu erhalten. Für Stahl Gerlafingen arbeiten rund 500 Angestellte. «Das Abwarten hat mich zeitweise fast zerrissen», so Heri weiter.

Die Angestellten seien erleichtert, sagt auch Silvio Beck, Präsident der Angestellten-Personalkommission der Stahl Gerlafingen, auf Anfrage.

Die Probleme der Stahlindustrie: Nicht nur die hohen Energiepreise machen den Werken zu schaffen. Stahl Gerlafingen zum Beispiel stellt unter anderem Profilstahl her, also klassische Stahlträger. Für den Profilstahl ist das Marktumfeld besonders schwierig. Seit 2023 hat die Schweiz kein eigenes Kontingent mehr für den Export in die EU. Deshalb ist der Export eingebrochen. Swiss Steel will im In- und Ausland 800 Stellen abbauen, 130 davon in Emmenbrücke. Stahl Gerlafingen wollte nach dem Wegfall von 60 Arbeitsplätzen weitere 120 Angestellte entlassen, verzichtete dann aber vorerst auf einen weiteren Stellenabbau. Man wolle politische Entscheide abwarten.

Stahlwerk
Legende: Rund 500 Angestellte zählt das Stahlwerk Gerlafingen. Steeltec ist ein Tochterunternehmen der Swiss Steel Gruppe in Emmenbrücke in der Schweiz und hat rund 750 Angestellte. Keystone/Christian Beutler

Das sagt SRF-Wirtschaftsredaktor Damian Rast: «Der hohe Strompreis ist für die Stahlwerke nur ein Problem. Weltweit gibt es viel zu viel Stahl, die Preise sind im Keller. Und die Wirtschaft in Europa läuft nicht gut, gerade die Auto- oder Bauindustrie kauft keinen Stahl.» Zudem käme die Unterstützung des Bundes zu einem Preis, so Rast weiter. Die Unterstützungsmassnahmen haben viel mehr politische als wirtschaftliche Gründe. «Es ist ein Sieg der regionalpolitischen Allianz.»

Das Umweltargument beim Stahl

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Anlieferung von Stahl
Legende: Recyling-Stahl ist besser für die Umwelt: Mit diesem Argument hat der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark in Bern lobbyiert. Keystone/Christian Beutler

Der Nationalrat fand in seiner Debatte, dass die Schweizer Stahlwerke umweltrelevant seien.

Jährlich würden dort 1.5 Millionen Tonnen Stahlschrott wiederaufbereitet. Geschähe dieses Recycling im Ausland, würden die Rohstoffe nicht im Land bleiben und der CO₂-Ausstoss wäre höher. Schweizer Stahlwerke arbeiteten «grün».

Der Bundesrat – allen voran Wirtschaftsminister Guy Parmelin und Umweltminister Albert Rösti – meinte jedoch, dass die Anwendung von Notrecht nicht angebracht sei. Systemrelevant seien die Stahlwerke nicht.

So geht es weiter: Auch wenn das Parlament Staatshilfe für die Stahlwerke beschlossen hat, ist die Frage, wie die Besitzer der Stahlwerke damit umgehen. Das Stahlwerk Gerlafingen gehört zur italienischen Beltrame Gruppe. Sind die italienischen Firmenchefs mit den Schweizer Bedingungen einverstanden, die an die Staatshilfe geknüpft sind? Definitiv über dem Berg sind die Stahlwerke noch nicht.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 17.12.2024, 12:03 Uhr ; 

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