Ein Tornado auf der einen, eine schwere Fallbö oder Downburst auf der anderen Stadtseite: Am Mittag des 24. Juli 2023 verwüstete ein Sommersturm La Chaux-de-Fonds im Neuenburger Jura.
«Plötzlich war der Sturm da»
Die Windspitzen betrugen 217 Kilometer pro Stunde. Ein Mann wurde von einem Kran erschlagen. Dutzende Menschen kamen mit leichten Verletzungen davon.
Es sei wie in einer Apokalypse gewesen, erinnert sich die 19-jährige Jus-Studentin Jade Christ. Sie lebt mit ihrer Schwester und ihren Eltern auf der Crêt-du-Locle, jenem Weiler, den der Sturm am heftigsten traf. Sie habe sich auf einen schönen Sommertag gefreut, auf ein Unwetter habe nichts hingedeutet, erinnert sie sich.
Doch plötzlich war der Sturm da. Sekunden später sah sie im Garten die Bäume umfallen.
Bei Feuerwehrkommandant Grégory Duc schrillten alle Alarmglocken. Durch die Wucht des Sturms seien in Firmen die Alarme von selbst abgegangen, sagt er. Um Verletzte zu bergen, beorderte Kommandant Duc gleich drei Ambulanzteams in die Stadt.
Sturm zerstörte Häuser komplett
Jirawat Jun-en war auf dem Weg in die Sommerferien nach Paris, als sein Telefon klingelte. Der Sturm habe sein thailändisches Restaurant komplett zerstört, teilte man ihm mit. Zurück in La Chaux-de-Fonds sah Jirawat Jun-en, dass das Haus kein Dach mehr hatte und der halbe Hausrat davongeflogen war.
Im ersten Moment dachte er, er stehe vor dem Nichts. Heute hat das Haus wieder ein Dach und das Thai-Restaurant hat wieder Gäste. In der Wohnung von Jun-en aber wird nach wie vor gebaut und restauriert.
Bei Nicolas Bihler löst sich die Baustelle gerade auf. Der CEO der Kaffeefabrik La Semeuse und des Schokoladenherstellers Choco Diffusion musste sein komplett zerstörtes Warendepot wieder aufbauen. Er sagt, als Unternehmer bereite man sich auf viele Katastrophen vor, auf einen derartigen Sturm aber nicht.
Auch Bihler weilte in den Ferien, als der Sturm über seine Heimatstadt fegte. Als Mitarbeiter ihn informierten, was passiert war, setzte er sich ins nächste Flugzeug zurück in die Schweiz. Dort sah er ungläubig, wie der Sturm das Depot in seine Einzelteile zerlegt hatte. Bihler musste grosse Mengen durchnässter Kaffeebohnen wegwerfen. Nach einer Woche röstete er zwar wieder Kaffee, aber er konnte wochenlang keinen mehr ausliefern.
Millionenbeträge in Umbau investiert
Ein Jahr danach steht Bihler stolz in einer neuen Lagerhalle. In wenigen Tagen soll die Halle eingeweiht werden. Die materiellen Schäden hat Bihler beseitigt. Und natürlich ist das Gebäude sturmsicher. 10 bis 20 Millionen Franken kostet der Neubau. Einen Teil zahlen Versicherungen, einen Teil zahlt Bihler selbst.
Ein Jahr nach dem Sturm an diesem Punkt zu stehen, sei ziemlich unglaublich, findet Bihler. Doch bei Bihler und anderen Betroffenen in La Chaux-de-Fonds sind Ängste und Verunsicherung nicht verflogen.
Was passiert ist, beschäftigt die Menschen in La Chaux-de-Fonds weiter. Sie können die Geschehnisse nicht verdrängen. Die jüngsten Unwetterbilder aus dem Tessin, dem Oberwallis und dem Bündnerland haben die Leute an die eigenen Erlebnisse erinnert. Und auch bei jeder Gewitterwarnung kommen von neuem flaue Gefühle auf.
