- Seit Wochen sorgt die Schweizer Armee mit gravierenden Problemen bei mehreren Grossprojekten für negative Schlagzeilen.
- Jetzt deckt Radio SRF auf: Die Armee hat versucht, einen brisanten internen Bericht zu einem der wichtigsten Projekte unter den Tisch zu kehren.
- Das Dokument warnt vor einem Kollaps der militärischen Luftraumüberwachung. Und deutet auf ein Klima der Angst in der Führung der Armee hin.
Mehrere Jahre Verzögerung, über 150 Millionen Franken Mehrkosten, Streit zwischen den Projektteams: Das Projekt C2Air der Schweizer Armee für ein neues System zur Überwachung des militärischen Luftraums befindet sich in Schwierigkeiten, wie Radio SRF vor drei Monaten enthüllt hat.
Im Februar des letzten Jahres hat Armeechef Thomas Süssli das Beratungsunternehmen KPMG beauftragt, ihn mit einem externen «Qualitäts- und Risikomanagement» zu begleiten. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat Radio SRF im Oktober bei der Armee «sämtliche bisher erstellten Berichte der Firma KPMG» angefordert.
Hinweis auf brisanten Bericht geschwärzt
Erhalten haben wir zwei Monate später einen einzigen. Er gibt den Stand des Projekts im 4. Quartal wieder. Zahlreiche Stellen sind geschwärzt, zum Beispiel Namen von Personen oder geografische Angaben, «aus Gründen der inneren und äusseren Sicherheit», wie die Medienstelle der Armee schrieb.
Was sie nicht gesagt hat: Mit schwarzen Balken zugedeckt worden sind auch alle Hinweise auf einen weiteren KPMG-Bericht, der bereits drei Monate davor verfasst wurde. Die Armee hat also versucht, diesen Bericht unter den Tisch zu kehren. Auch die sicherheitspolitischen Kommissionen des Parlaments haben ihn nicht erhalten.
Klartext im Expertenbericht
Radio SRF liegt der brisante Bericht inzwischen vor. Er beschreibt den Zustand des Projekts im dritten Quartal und ist als «intern» klassifiziert. Die Experten der Firma KPMG sprechen darin – gestützt auf Dokumente und Interviews mit Projektverantwortlichen – Klartext.
Den verantwortlichen IT-kompetenten Personen aus dem C2Air-Projekt ist die schiere Unmöglichkeit des gegenwärtigen Vorhabens klar.
Das Problem sei ein «Dekret» von Armeechef Thomas Süssli aus dem Jahr 2020, wonach das neue System zur Überwachung des Luftraums mit dem Namen SkyView in die «Neue Digitalisierungsplattform» der Armee integriert werden müsse: «Wir erachten die Anforderung, SkyView mit den gegebenen Mitteln und im anvisierten Zeitrahmen bis 2029 auf der Neuen Digitalisierungsplattform zu integrieren, als gänzlich unrealistisch.» Dies hätten «praktisch alle» Interviewpartner festgestellt.
«Den verantwortlichen IT-kompetenten Personen aus dem C2Air-Projekt ist die schiere Unmöglichkeit des gegenwärtigen Vorhabens klar», heisst es weiter im Bericht. Die Entscheidungsträger hätten aber nicht auf diese Stimmen gehört, stellt KPMG fest. Stattdessen hätten sie das «Dekret» von Armeechef Süssli «höher gewichtet als die Fakten».
Management «ignorierte die Fakten»
Offenbar aus Angst, wie der Bericht nahelegt: «Obwohl von den Fachexperten seit 2022 mehrfach adressiert, übersteuerte die Managementstufe das Urteil der Fachexperten und hielt stattdessen in vorbeugendem Gehorsam nur an Lösungen fest, welche diesem Dekret entsprachen.»
Der «höchste Risikograd» sei eingetreten, weil «das Management» die Fakten «ignoriert» habe, folgert KPMG. Mit fatalen möglichen Folgen: Das Risiko, dass das veraltete System zur Luftraumüberwachung in fünf Jahren teilweise oder ganz ausfalle, schätzt KMPG als «sehr hoch» ein.
Der Bericht formuliert deshalb eine klare Empfehlung: die Vorgabe, SkyView auf der Neuen Digitalisierungsplattform zu betreiben, soll «fallengelassen» werden. Doch Anfang November hat Armeechef Süssli entschieden: Das Projekt wird praktisch unverändert weiterverfolgt.
Armee relativiert Tragweite des Berichts
In einer Stellungnahme gegenüber Radio SRF begründet die Armee, weshalb sie der Empfehlung nicht gefolgt ist: «Varianten, die nicht auf der Neuen Digitalisierungsplattform basierten, wurden von der Programmführung aufgrund zu vieler Unsicherheiten hinsichtlich der Zeitverhältnisse, Kosten und Risiken als wenig erfolgsversprechend beurteilt und deswegen verworfen.»
Zur Feststellung des KPMG-Berichts, das Management habe in «vorauseilendem Gehorsam» gegenüber dem Dekret von Armeechef Süssli Fakten «ignoriert», schreibt die Armee: «Es gibt kein Dekret der Armeeführung aus dem Jahr 2020.» Schon vier Jahre früher sei klar gewesen, dass das neue System zur Überwachung des Luftraums auf der Plattform installiert sein müsse.
Es gibt keinen Bericht der KPMG.
Und einigermassen überraschend stellt sich die Armee auf den Standpunkt: «Es gibt keinen Bericht der KPMG.» Es gebe nur einen Mitarbeiter der Firma KPMG, der den Armeechef unterstütze. Dieser habe sich zuerst in das «komplexe Programm» einarbeiten müssen. «So wurde mit der Firma vereinbart, dass erst der Bericht im Quartal 4 ‹scharf› sein soll und verteilt wird.»
Fakt ist: Im Bericht, der Radio SRF vorliegt, ist von mehreren «Teams» die Rede, welche die Themenfelder bearbeitet hätten. Als «Verfasserin» wird auf dem Deckblatt des Berichts die «KPMG AG» genannt.