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SRF-Format «Kehrseite» Lena Häcki-Gross: «Sei lieb zu dir»

Sie verspürte Scham und lebte mit einem Selbstwertgefühl am Nullpunkt. Biathletin Lena Häcki-Gross erzählt im neuen SRF-Format «Kehrseite – Abseits des Erfolgs» von ihrer Essstörung. Sie spricht darüber, wie sie einen Umgang damit gefunden hat und welche Rolle die Familie auf diesem Weg einnahm.

«Auf dieser Welt gibt es viele Menschen, die Probleme haben», sagt Biathletin Lena Häcki-Gross. Sie erzählt ihre Geschichte, weil sie anderen Leuten helfen will. Sie hofft, dass sich Menschen, die Ähnliches wie sie erleben, nicht ganz so allein fühlen. Das Gefühl der Einsamkeit, als Unverstandene; Lena Häcki-Gross kennt es. Sie, die in ihrem Leben mit einer Essstörung konfrontiert war und nun im neuen SRF-Format «Kehrseite – Abseits des Erfolgs» ausführlich darüber spricht.

... jedes Mal, wenn ich etwas gegessen habe, ist so das Gefühl gewesen, wie wenn ein Monster in mir erwacht wäre, das mehr und mehr und mehr will.
Autor: Lena Häcki-Gross

Binge-Eating-Störung heisst jene Form der Essstörung, die Häcki-Gross beschäftigt. «Das ist ein Verhalten, bei dem man versucht, möglichst viel Gewicht auf einmal zu verlieren, man sich selbst runterhungert. Der Körper hält das dann aber nicht durch und löst ein Notsignal aus, welches zu Fressattacken führt», erklärt Häcki-Gross.

Angefangen hat alles als Teenie

Begonnen hat alles im Alter von 16, 17 Jahren. Das Biathlon-Talent liebäugelte mit einer Karriere im Spitzensport, machte sich vermehrt auch Gedanken über den eigenen Körper und über die Ernährung. Ein schleichender Prozess sei das gewesen. Bald erschien ihr das Essen wie eine Droge. «Ich habe versucht, darauf zu verzichten und jedes Mal, wenn ich etwas gegessen habe, ist so das Gefühl gewesen, wie wenn ein Monster in mir erwacht wäre, das mehr und mehr und mehr will.»

Diese Fressattacken führten zu einer inneren Dunkelheit, zu einer Negativspirale. Häcki-Gross war sehr streng zu sich. «Mein Selbstwertgefühl war am Nullpunkt. Ich habe mir meine Willensstärke abgesprochen. Also jenen Charakterzug, auf den ich als Athletin eigentlich immer extrem stolz gewesen bin.»

Verheimlicht und abgeschottet

Häcki-Gross kaschierte, verheimlichte. Die Essstörung bestimmte ihr Verhalten. «Wenn ich ins Restaurant ging, habe ich automatisch darauf geachtet, welches Gericht am wenigsten Kalorien aufweist. Ein grosser Bestandteil meiner Krankheit war zudem, dass ich mich abgeschottet habe und niemanden Teil haben liess», so Häcki-Gross. Es dauerte, bis sie sich öffnen konnte. Bis sie sagen konnte: «Hey, es ist erstens nicht mein Fehler und schon gar keine Schwäche, über Schwächen zu reden, sondern eine Stärke.»

Zwei Frauen, die auf Stühlen vor einer Steinmauer sitzen und sich unterhalten.
Legende: War eine wichtige Stütze auf dem Weg der Besserung Martha Häcki (links) konfrontierte Lena Häcki-Gross damals. SRF

Dass Häcki-Gross an diesem Frühlingstag in Engelberg so offen und detailliert über ihren Weg reden kann, liegt auch an Schwester Martha. «Sie hat mich dazu bewegt, dass ich wieder in eine bessere Phase komme.» Die Schwester suchte eines Abends das Gespräch mit ihr, konfrontierte sie mit ihrem Verhalten. Martha Häcki erinnert sich: «Ich hatte Respekt davor, das Ganze direkt anzusprechen, weil es ein sensibles Thema ist und Lena auch sehr sensibel darauf reagiert hat.»

Es war megastark von Lena, dass sie dann wirklich aussprach, was in ihrem Kopf alles los war und welchen Ballast sie trägt.
Autor: Martha Häcki Schwester

Der Abend der ersten Konfrontation war emotional. Für Lena Häcki-Gross, aber auch für die Familie. Ein Abend, der Martha Häcki noch sehr präsent ist: «Es war megastark von Lena, dass sie dann wirklich aussprach, was in ihrem Kopf alles los war und welchen Ballast sie trägt. Der Moment wird mir immer bleiben. Weil ich da für mich auch noch einmal realisiert habe, wie extrem sie das beeinflusst und wie sie unter der Geschichte litt.»

Hilfsangebote

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Eine Anlaufstelle für Betroffene und deren Umfeld ist die Schweizerische Gesellschaft für Essstörungen (SGES): www.sges-ssta-ssda.ch     

«Der erste und wichtigste Schritt ist es, sich einzugestehen, dass man überhaupt ein Problem hat», sagt Lena Häcki-Gross auf die Frage, wie sie einen Umgang mit ihrer Herausforderung gefunden habe. «Hilfe holen, mit jemandem reden, sich dem Umfeld öffnen. Das sind Punkte gewesen, die das Ganze Schritt für Schritt besser gemacht haben.»

Dazu kommt professionelle Hilfe: «Zusammen mit meiner Therapeutin habe ich viele Strategien erarbeitet, wie ich mir in spezifischen Situationen helfen kann. Ich habe sehr viel Selbstarbeit verrichtet.» Häcki-Gross war erstaunt, wie viel man in diesem Bereich bewegen kann. «Ich habe zum Beispiel ein Bild neben dem Spiegel aufgehängt, das mich aufforderte, lieb zu mir zu sein und einen positiven Satz über mich selbst zu formulieren. Das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt.» Ganz generell ist das eine der grossen Erkenntnisse von Häcki-Gross: «Sei lieb zu dir selbst.»

Das Thema ist für Häcki-Gross noch nicht ganz vom Tisch: «Das wird auch noch eine Zeit brauchen, wenn es überhaupt jemals ganz weg sein wird. Aber es geht mir schon sehr viel besser damit. Ich bin wieder viel glücklicher.»  

Steckbrief

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Name: Lena Häcki-Gross

Tätigkeit: Biathletin

Im Biathlon-Weltcup seit: 2014

Alter: 29

Geburtsstadt: Engelberg

SRF zwei, 10.7.2024, 08:15 Uhr

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