Es gibt Tage, da präsentiert sich Amsterdam wie eine gigantische Baustelle. Dann dominiert der ohrenbetäubende Lärm der grossen, gelben Maschinen das halbe Zentrum. Doch auch in den Aussenquartieren wird gehämmert, gesägt und gebohrt.
Bauen für die Neuzuzüger
Denn die Grachtenstadt boomt. Jeden Monat lassen sich 1000 neue Menschen nieder. 854'000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt die Stadt inzwischen – eine Viertelmillion mehr als 1990.
Viele dieser «neuen» Amsterdamerinnen und Amsterdamer arbeiten für internationale Firmen, die ihren Hauptsitz in die Niederlande verlegt haben.
Damit alle diese Neuzuzüger ein Dach über dem Kopf haben können, braucht es viele neue Wohnungen, die jetzt auf den letzten, noch brachliegenden Fleckchen in der Innenstadt entstehen oder – noch häufiger – in den Aussenquartieren.
Eine Stadt steht auf Stelzen
Dort wird der übliche Baulärm häufig von einem metallischen Schlaggeräusch übertönt: Der hauptstädtische Grund ist nämlich alles andere als fest. Damit ein Haus gebaut werden kann, das im Lot bleiben soll, muss der sumpfige Boden zuerst mit Pfählen gestützt werden.
«Hijen» wird dieser typisch niederländische Vorgang in einem Wort genannt. Auf Deutsch bedeutet es: einen Pfahl in den Boden rammen. Die ganze Innenstadt samt Hauptbahnhof und Königspalast ruht auf Holzpfählen.
Es gibt dazu sogar einen Vers, den jedes Kind kennt: «Die grosse Stadt Amsterdam ist auf Pfählen gebaut. Wenn diese Stadt einmal umfällt, wer müsste das bezahlen.»
Wahre Worte: Wenn die alten Holzstelzen morsch werden, was immer wieder vorkommt, sackt das Fundament ab und gerät das Haus in Schieflage. Für Touristen ist das zwar ein hübsches Fotosujet – aber den Besitzer kostet die Sanierung eine schöne Stange Geld.
Der Lärm von früher
Im 17. Jahrhundert, als die reichen Kaufleute den – inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden – Amsterdamer Grachtengürtel anlegen liessen, gab es weder Dieselmotoren noch Beton.
Damals wurden Baumstämme eingesetzt für ein stabiles Fundament. Die Arbeiter trieben sie mit Hilfe eines Rammbocks an Seilen elf Meter tief in den Boden. Natürlich war auch diese Tätigkeit mit Lärm verbunden. Aber es klang nicht so metallisch wie das heutige «Hijen».
Auf Sand gebaut
Anstelle der Baumstämme, die damals per Schiff aus dem Schwarzwald importiert wurden, benutzen die Bauherren inzwischen einen Stahlköcher, der Schlag für Schlag so tief in den Boden gestampft wird, bis er auf eine tragfähige Sandlage trifft.
Heute liegt diese bei 21 Metern – 10 Meter tiefer als zu Baumstammzeiten. Sobald der tiefste Punkt erreicht ist, wird Beton mit Stahleinlagen in den Köcher gestürzt, bevor dieser entfernt und für einen nächsten Betonpfahl eingesetzt wird.
Der Klang der Sicherheit
Ein erfahrener Bautrupp braucht für einen solchen Vorgang eine gute halbe Stunde. Wie lange «gehijt» werden muss, wie viele Betonpfähle nötig sind, hängt von Grösse und Gewicht des Bauprojektes ab.
Obwohl das metallische Rammgeräusch bis weit in die Ferne gut hörbar ist, beklagen sich die Anwohnenden kaum darüber. Im Gegenteil: Für viele gehört dieses spezielle Hämmern zu Amsterdam wie das Dreiklanghorn des Postautos vor einer Kurve.
Denn es bedeutet Sicherheit.