«Ey! Komm hierher! Ich habe den frischesten Tintenfisch auf dem ganzen Markt. Kauf nicht bei dem da drüben!», ruft ein Fischverkäufer mir zu und lacht.
Ich stehe gegenüber am Stand seines Konkurrenten. «Lass Dich von dem nicht verlackmeiern. Der lügt wie gedruckt», sagt der Verkäufer neben mir, so laut, dass es gegenüber deutlich zu hören ist.
Jenseits der sterilen Regale
Einkaufen auf dem Kapani-Markt in Thessaloniki ist immer ein Erlebnis. Fernab der sterilen Supermarktregale geht man hier auf Tuchfühlung mit der ungeschönten Realität.
Halbe Schweine hängen von Fleischerhaken, Schafsköpfe für Suppen lächeln dem vorbeilaufenden Besucher entgegen, Obst und Gemüse richten sich nicht nach europäischen Schönheitsnormen. Und es ist laut.
Von überall her schallen Stimmen. Stellungnahmen zum Krisenalltag, Preisverhandlungen, ermahnende Worte einer Mutter an ihr Kind, Beziehungskrach. Wer genau hinhört, der kann viel vom Leben in Thessaloniki lernen.
Jeden Tag frische Ware
Über diesen Klangteppich erheben sich die Stimmen der Marktschreier. Laut rufen sie Sonderangebote in den Raum, preisen ihre Waren an und suchen den Kontakt mit den vorbeilaufenden Einkäufern.
«Im Supermarkt liegt alles tagelang in den Regalen. Wir müssen unsere Waren innerhalb eines Tages verkaufen. Daher ist bei uns immer alles frisch», erklärt Fischverkäufer Ioannis. «Den ganzen Tage bin ich hier von Menschen umgeben. Deswegen liebe ich meinen Beruf.»
Direktmarketing mit Tradition
Ioannis kennt seine Kunden – selbst wenn er sie noch nie gesehen hat. Er weiss, wer an ihm vorbeiläuft, ob jemand nicht den vollen Preis bezahlen kann oder vielleicht gar kein Interesse hat.
«Ela Koukla!», ruft er einer alten Dame zu, die gerade an seinem Stand vorbeiläuft. «Hey, schönes Mädchen!», heisst das übersetzt. Nicht jede betagte Dame würde diese Ansprache mit Wohlwollen aufnehmen.
Doch bei ihr kann Ioannis landen. Sie kommt und kauft ihm ein halbes Kilo Sardinen ab. Onlineshops können von dieser Form des Direktmarketings nur träumen.
Ohren führen zum Gaumenschmaus
Die Marktschreier vom Kapani-Markt sind nicht zu ersetzen. Seit Jahrhunderten erschallen ihre Stimmen zwischen den kleinen Läden und Ständen.
Für den Kunden bedeutet das: Ich muss mich auf mein Gehör verlassen. Wer bietet mir was an? Wer macht mir einen guten Preis? Wer ist mir sympathisch? Es gilt, das komplexe Gewirr an Informationen genau zu durchforsten, wachsam zu sein und sich dann auf sein Gefühl und seine Erfahrung zu verlassen.
Einkaufen mit den Sinnen
Der Kapani-Markt ist ein Appell an die Sinne. Gerüche und Stimmen gehen hier eine Symbiose ein. Hier geht es nicht darum, die schönere Verpackung auswählen, sondern sich mit der Ware selbst auseinanderzusetzen.
Dem Marktschreier kommt die Rolle des Botschafters zu. Mit allen Mitteln der Marktdiplomatie muss er sich gegen seine Konkurrenten durchsetzen. Mit Turbokapitalismus aber hat seine Arbeit nichts zu tun.
Der Kapani-Markt lebt von einem natürlichen Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Und während die sirenenartigen Stimmen moderner Werbung uns täglich in den Märchenwald des Supermarktes locken, erinnern die schroffen Stimmen der Marktschreier vor allem an eines: Wer am schönsten singt, hat nicht unbedingt die besten Äpfel.