Chinesische Rentner, die in Parks konzentriert ihre bewusst langsamen Tai-Chi-Übungen machen: Diese Bilder kennt man im Westen zur Genüge. Alles andere als ruhig und langsam sind aber die Tanzgruppen, die sich in Schanghai an den Abenden und am Wochenende versammeln.
Etwa im Xujiahui-Park mitten in Schanghais Geschäftsviertel. Über 30 Frauen und ein paar Männer halten die Hände in die Höhe, bewegen ihre Körper zum Takt der Musik. Sie tragen rosarote Polo-Shirts und weisse Handschuhe.
Tanzen für gute Laune
In der dritten Reihe tanzt Frau Feng. Die Mittfünfzigerin sagt, sie komme fast täglich in den Park. Feng arbeitet als Altenpflegerin, sie lebt nur fünf Minuten zu Fuss vom Park entfernt. Vor einem Jahr hat sie mit dem Tanzen angefangen.
Sie fühle sich seither besser, sagt Frau Feng, und dies nicht nur körperlich. Dank der allabendlichen Bewegung sei sie viel besser gelaunt als früher. Frau Lan pflichtet ihr bei. Die 61-Jährige macht schon seit drei Jahren mit, die beiden haben sich hier kennengelernt.
Öffentliches Tanzen wird Massenphänomen
Die Tanzgruppe im Xujiahui-Park ist nicht die einzige. Fast in allen grösseren Parks und öffentlichen Plätzen der Stadt treffen sich abends ältere Chinesinnen.
In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren hat das öffentliche Tanzfieber China infiziert. Chinesische Medien schätzen, dass inzwischen über 100 Millionen Menschen regelmässig auf Chinas öffentlichen Plätzen tanzen.
Ein Grund für die Beliebtheit dieser Freizeitaktivität ist, dass sie nichts kostet. Zudem ermöglicht sie den älteren Chinesinnen, Sport zu machen und mit anderen in Kontakt zu kommen.
Der Grossteil von ihnen ist über 50 Jahre alt. Allen Gruppen gemeinsam ist, dass sie mindestens einen grossen Lautsprecher aufstellen, der laut über den Platz hinaus plärrt.
Nicht alle sind begeistert
Doch nicht alle Chinesen teilen die Begeisterung: In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Reklamationen über den Lärm.
So gab es Fälle, in denen besonders erzürnten Nachbarn Hunde auf die Tänzerinnen hetzten oder sie mit Fäkalien bewarfen. Andere installierten ihre eigenen Lautsprecher, und versuchten so, die laute Tanzmusik zu übertönen.
Im Xujiahui-Park scheint man mit den Anwohnern dagegen gut auszukommen. Zwischen den tanzenden Frauen spielt ein Mädchen mit einem Reifen, ein anderes fährt mit dem Trottinett knapp an ihnen vorbei. Auf der Parkbank sitzen ältere Herren, Familien mit kleinen Kindern, sie schauen den Tänzerinnen zu.
Für allfällige Beschwerden von Anwohnern hätte sie Verständnis, sagt Frau Feng. «Familien wohnen um den Park herum, Kinder müssen am Abend noch Hausaufgaben machen», sagt sie. Deshalb sei hier spätestens um neun Uhr abends Schluss.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 16.7.2018, 8.20 Uhr