Tatiana Abbé beugt ihre bebrillte Nase tief über die Nähmaschine. Mit einem Tritt auf das Pedal unter ihrem Tisch geht das Rattern los. Jede Naht hallt in der kleinen Werkstatt wider.
Sobald ihre Kollegen weiter hinten im Zimmer mit der Arbeit beginnen, entfaltet sich ein Kanon der Nähmaschinen. «Bei uns ist es laut und es dröhnt. Aber das ist nun mal der Klang der Schneider», lacht sie über das Rattern hinweg.
Neue Kleidung von alten Maschinen
Tatiana Abbé arbeitet seit 15 Jahren als Näherin. Mindestens genauso alt ist auch ihre Nähmaschine. «Ivorische Schneider kaufen am liebsten gebrauchte Maschinen aus Frankreich. Die sind laut, aber zuverlässig und einfach zu reparieren», erklärt sie.
In den unzähligen Schneiderstuben Abidjans rattern Maschinen mit stabilem Stahlgehäuse, auf denen der Schriftzug Singer, Viscount oder Montgomery Ward steht. In Europa würde man Vintage dazu sagen.
Jedes Stück echte Handarbeit
Der Besuch beim Schneider ist in der Elfenbeinküste so normal wie der Gang zum Friseur. Der Weg zum neuen Rock oder Hemd ist ein langsamer Prozess: Stoff kaufen, Modell aussuchen, Mass nehmen, Anprobe. Slow Fashion.
«Der Schneider ist derjenige, der den Stoff erst richtig zur Geltung bringt. Es ist wichtig, einen guten Schneider zu haben», sagt Stoffverkäufer Mustapha Diaby.
Sein kleiner Verkaufsladen ist vollgepackt mit Ballen bunt gemusterter Baumwollstoffe. Die traditionellen und modernen afrikanischen Muster sind bei seinen Kunden besonders beliebt.
«Früher wollten die Ivorer Kleidung nach westlichem Vorbild. Doch das hat sich geändert. Selbst unsere Staatschefs tragen bei offiziellen Anlässen wieder afrikanische Designs. »
Für Hochzeiten, Schulanfang und Büro
Schneidermeister Marius Mapé lässt die Nadel durch einen dunkelblauen Stoff mit Eulenmuster tanzen. Das Stakkato seiner Nähmaschine mischt sich mit den Rufen der Nachbarskinder und dem Hupen der Taxis vor seinem kleinen Atelier. In der Elfenbeinküste gehört das unermüdliche Rattern zum öffentlichen Raum.
«Manchmal sogar nachts», erzählt der 51-Jährige. «Wenn viel los ist, dann gehen wir gar nicht erst nach Hause», ruft er. Für Feiertage, religiöse Feste und den Beginn des Schuljahres haben die Schneider am meisten zu tun.
Schneider ist Freund der Familie
Ein Schneideratelier kleidet oft die ganze Familie ein. «Wir Ivorer lieben es, uns gut anzuziehen. Wenn man einen guten Schneider gefunden hat, bleibt man ihm treu. Er ist wie ein Freund», erzählt Kossia Bertille. Die Frau im mittleren Alter holt gerade ein knöchellanges Kleid mit Trompetenärmeln ab. Sie will es zu einer Taufe anziehen.
Massgeschneiderte Kleidung können sich viele Menschen in der Elfenbeinküste leisten. Es ist kein Luxus wie in Europa. Einfache Herrenhemden gibt es ab umgerechnet 3.50 Franken. Inzwischen wächst in der Metropole Abidjan auch eine Designer- und Modeszene heran.
«Wenn die Nähmaschinen nicht mehr rattern, würde uns ein grosser Teil unserer Kultur fehlen», sagt Kossia Bertille zum Abschied. «Und wir hätten nichts anzuziehen», fügt sie lachend hinzu.