5. Behzad Karim Khani: «Hund, Wolf, Schakal» (21 Punkte)
Der Roman «Hund Wolf Schakal» von Behzad Karim Khani handelt von einer schwierigen Kindheit in Berlin. Nach dem Tod der Mutter während der Wirren der islamischen Revolution fliehen Saam und sein jüngerer Bruder mit dem Vater nach Deutschland. In Berlin-Neukölln müssen sie eine neue Heimat finden. Ein furioses Debüt, das Einsicht gewährt in ein uns unbekanntes Immigranten-Milieu.
Wie weit geht man, um die eigene Würde zu verteidigen? Behzad Karim Khani erzählt von Gewalt und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit in den Strassen von Berlin: zärtlich, ironisch und entlarvend – ohne zu verklären.
4. Dörte Hansen: «Zur See» (25 Punkte)
Wie Dörte Hansen vom Leben auf einer Nordseeinsel erzählt, ist faszinierend. Die Menschen auf der Insel sind einsam, hin- und hergerissen zwischen Heimweh und Fluchtimpuls, zwischen Sehnsüchten und Angst und Kälte. Sie arbeiten sich an der Tradition ab, auch am Erbe der alten Kapitänsfamilien. Immer wieder bricht Hansen mit unseren Vorstellungen und Klischees und setzt neue Bilder dagegen. Ein Buch über den gesellschaftlichen Wandel auf der Insel, das zugleich Familienroman und ein Buch über Einsamkeit ist.
Glaubwürdig und packend erzählt Dörte Hansen von Seefahrt, Tourismus und dem Verkauf der Heimat – mit erstaunlichen Parallelen zum Alltag im Engadin.
3. Ian McEwan: «Lektionen» (29 Punkte)
London, 1986. Roland Baines liest den Zettel, den Alissa auf seinem Kopfkissen hinterlassen hat: Sie liebe ihn, werde ihn und ihr gemeinsames Baby aber dennoch verlassen. Die Beweggründe seiner Frau versteht Roland erst viele Jahre später. Ian McEwans fesselnder Roman handelt von den «Lektionen» im Leben eines jeden. Sein alleinerziehender Protagonist und Überlebenskünstler leidet an der Vergangenheit und am Weltgeschehen. Auf beide kann er keinen Einfluss nehmen. Doch was macht ein geglücktes Leben aus? Ian McEwans nachdenklicher Roman bietet Möglichkeiten an.
Was prägt uns? Ian McEwans erzählt virtuos von den vielen kleinen Momenten, die unsere Leben letztlich formen.
2. Alain Claude Sulzer: «Doppelleben» (31 Punkte)
Alain Claude Sulzer widmet sich in seinem neuen Roman «Doppelleben» den beiden Brüdern Goncourt, dank deren «Journal» wir viel über Paris im 19. Jahrhundert wissen. Die Erzählung konzentriert sich dabei auf das Sterben des einen und das Zurückbleiben des anderen Bruders. Zugleich erleben wir das dramatische Leben und Sterben von Rose, der Haushälterin der Goncourts. Sie lebt in Not und Verzweiflung, ohne dass die beiden Schöngeister dies bemerken. Ein Buch, das ein Fenster in eine andere Zeit öffnet und uns einfühlsam und sprachlich virtuos das Leben und Schaffen des berühmten Brüderpaars näherbringt.
So rasant wie feinfühlig entführt uns Alain Claude Sulzer ins Paris des 19. Jahrhunderts, wo die Brüder Goncourt und ihre Haushälterin Rose im selben Haus und doch in völlig verschiedenen Welten leben.
1. Kim de l’Horizon: «Blutbuch» (37 Punkte)
Die nonbinäre Erzählfigur in «Blutbuch» wendet sich an die demente Grossmutter. Sie ruft Szenen aus der gemeinsamen Vergangenheit hervor. Es geht um Verletzungen, Zurückweisungen, Traumata und um das, worüber Grossmutter und Enkelkind nie miteinander gesprochen haben: die Suche nach dem eigenen Ich. Wer bin ich, wenn ich mich weder als Mann noch als Frau identifiziere? Wenn ich mich lösen muss von äusseren Zuschreibungen? Kim de l'Horizon bringt das Ringen der Erzählfigur um ihre Identität mit grosser erzählerischer Kraft zum Ausdruck.
Das Buch der Stunde – inhaltlich wie formal.