Mit manchem unter Corona kann ich mich anfreunden, vieles fällt sogar leicht – wie Maske tragen. Womit ich aber hadere, ist, dass ich nicht reisen und Freunde besuchen kann. Trotz allem breche ich im Januar 2021 auf. Zur schönsten Reise seit Langem.
Reise durch die Zeit
Ich entdecke im Keller meine alte, eingemottete Stereoanlage wieder samt einigen Laufmetern Vinyl. Ich setzte mich hin, lege den Kopf quer, lese die Plattenrücken. Meine Halswirbelsäule wird das eine Stunde später bereuen.
Mit jeder Platte, die ich wiederfinde, reise ich durch die Zeit. Da sind Erinnerungen an längst verflossene Lieben, an erste Küsse und an letzte. «Alone again naturally.»
Mein Leben im Schnelldurchlauf
Ich «blättere» Platten durch und mein Leben rauscht im Schnelldurchlauf an mir vorbei. Ich schleppe alles in mein Zimmer, starte den alten Lenco.
Mit der ersten Jazzplatte kommt die Erinnerung an «Männergespräche» mit 17 Jahren, Cannonball Adderley, an Kerzen auf Weinflaschen, an volle Aschenbecher mit Selbstgedrehten, und an die damit verbundenen bestialischen Gerüche am nächsten Morgen.
Regungs- und grenzenlos
Ich reise innerlich, kreuz und quer durch Zeiten und Orte, springe vom Campo di Fiori 1980 in meine Münchner WG 1988 und das in einer Nano-Sekunde, stehe im nächsten Moment in einem der letzten Bowie-Konzerte. «Live on Mars», zum Wegfliegen.
Reisen im Kopf ist etwas Wunderbares, es ist regungs- und doch grenzenlos, total unaufwendig, man muss noch nicht mal raus in die Kälte, es muss einem nur einfallen.
Leerrille
An einem Donnerstag fällt der Schnee. Ich schaue in die gleissende Nacht. So still. Ich höre Filmmusiken, Klassik, Minimal Music mit Kratzern.
Irgendwann kommt die Leerrille. Stille mit 33 Umdrehungen und einem Sprung. Der Herzschlag geht runter. Nur noch Rhythmus und Schnee.
Wenn mich Corona das nächste Mal am Grenzübertritt hindert, gehe ich wieder in den Keller und gucke die Taschen alter Mäntel durch. Einkaufslisten, ein Nuggi, Rechnungen aus Skihütten. Dann reise ich wieder los.