Der Krieg in Äthiopiens Tigray-Region hat Hunderttausende von Toten gefordert. Viele wurden vertrieben und leiden bis heute Hunger; erst vor knapp einem Jahr wurden die Kämpfe eingestellt.
Doch nun ist ein neuer Konflikt aufgeflammt, diesmal in der Nachbarregion Amhara. Bereits wurden Hunderte Menschen getötet. Alemu Asfew lebt und arbeitet in der Region. Er macht sich Sorgen: «Der Tigray-Krieg war ein Desaster. Nun droht bereits wieder ein Krieg, das ist frustrierend.»
Militär patrouilliert, Internet ist abgeschaltet
Der Historiker Asfew lehrt in Bahir Dar, der Hauptstadt der Region Amhara. Gekämpft wird in anderen, abgelegenen Gegenden – doch den Konflikt spürt auch er: «Manchmal sehe ich Militär patrouillieren, es gibt keine Internetverbindung, eine abendliche Ausgangssperre, die Lebensmittelpreise sind massiv gestiegen.»
Die Amhara fühlen sich vor den Kopf gestossen nach dem Abkommen zwischen Äthiopiens Regierung und den Tigray.
Asfew ist für einige Tage in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba zu Besuch. Und nur darum überhaupt erreichbar via Whatsapp.
Der Grund für den Amhara-Konflikt liegt ironischerweise in einem Friedensabkommen – erklärt der äthiopische Politikexperte Mengistu Assefa: «Die Amhara fühlten sich nach dem Abkommen zwischen Äthiopiens Regierung und den Tigray-Rebellen vor den Kopf gestossen. Denn sie betrachten ihre Nachbarn, die Tigray, als ihre grössten Rivalen oder gar Feinde.»
Besonders schmerzhaft für die Amhara: die umstrittene Gegend West-Tigray oder Welkait soll nicht wieder zu Amhara gehören, wie früher einmal. Amhara und Tigray erheben Anspruch auf die Gegend.
Als Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed vor einem halben Jahr dann noch verkündete, die regionalen Truppen in Äthiopien würden aufgelöst und in die nationalen Streitkräfte integriert, fühlten sich die Amhara definitiv verraten.
Jugendmilizen bekämpfen Äthiopiens Armee
In der Folge gerieten der bewaffnete Amhara Jugend-Arm, die sogenannten Fano-Milizen, und die äthiopische Armee aneinander. Dass vermeintliche Freunde zu Feinden werden, ist in Äthiopien nicht ungewöhnlich. Allianzen fallen auseinander und werden neu gebildet. Das erklärt auch Assefa, der beim äthiopischen Center for Advancement of Rights and Democracy arbeitet: «Ethnische Gruppierungen aus diversen Regionen haben in den letzten fünf Jahren gegen die Zentralregierung gekämpft: in Amhara, Tigray, Benishangul-Gumuz und Gambela. Das führte landesweit zu diversen Konflikten.»
Menschenrechtsgruppen und die UNO warnen: Der aktuelle Konflikt in der Amhara-Region könnte eskalieren und zu noch mehr Elend führen. Ist gar ein Bürgerkrieg möglich, wie in der Tigray-Region?
Schwelender Konflikt droht
Historiker Asfew ist mässig optimistisch: «Eine Eskalation ist möglich. Was ich derzeit sehe: beide Seiten – Armee und Amhara-Kämpfer – zeigen sich nicht diskussionsbereit.»
Politikexperte Assefa hingegen hält die Befürchtungen für übertrieben. Die Auswirkungen des Amhara-Konflikts würden zwar zu einer stärkeren Polarisierung und Spaltung im Land führen. «Aber in Amhara gibt es nicht wie in Tigray eine koordinierte militärische Kraft oder gar eine geeinte politische Führung.»
Ein Krieg drohe in Amhara also nicht. «Jedoch ein weiterer latent schwelender Konflikt», so Assefa. Der Vielvölkerstaat am Horn von Afrika kommt einfach nicht zur Ruhe.