Vor drei Jahren haben die Taliban die Macht in Afghanistan wieder übernommen und das «Islamische Emirat Afghanistan» ausgerufen. Dies führte zu einer grossen Fluchtbewegung von Afghaninnen und Afghanen. Die UNO beklagten zuletzt die Situation der Frauen in Afghanistan. Hilfsorganisationen sprechen davon, dass ohne nachhaltige Unterstützung und Engagement der internationalen Gemeinschaft die Situation zu einer «vergessenen Krise» zu werden drohe. Ist die Lage wirklich so schlimm? Südasien-Korrespondentin Maren Peters gibt eine Übersicht über das Leben in dem krisengebeutelten Land.
Wie ist die Situation in Afghanistan heute?
Die Taliban sitzen fest im Sattel, obwohl Afghanistan in einer schweren humanitären Krise steckt. Ein Viertel der Bevölkerung ist akut von Hunger bedroht, wie neueste Zahlen von Hilfsorganisationen zeigen. Die Arbeitslosigkeit hat sich im letzten Jahr verdoppelt. Erschwert wird die Lage durch Naturkatastrophen wie Erdbeben. Und: Durch die Politik von Nachbarländern wie Pakistan und Iran, die afghanische Flüchtlinge nicht länger dulden und zurückschicken – was die Lage im Land noch verschlimmert.
Haben sich Taliban in irgendeinem Punkt «gebessert», wie anfangs gehofft wurde?
Nein. Die Taliban haben sich nur am Anfang gemässigt gegeben. Inzwischen verhalten sie sich ähnlich wie in der ersten Regierungszeit (1996-2001). Frauenrechte werden massiv unterdrückt, die Scharia-Regeln rigoros angewendet, Menschen bei Verstössen gegen diesen strengen Moralkodex öffentlich ausgepeitscht. Und trotzdem gibt es Leute in Afghanistan, die froh sind über die Taliban: Weil es jetzt weniger Terroranschläge gibt im Vergleich zur Besatzungszeit und das Land sicherer geworden ist.
Gibt es noch eine Opposition – wenn ja, woraus besteht sie?
Es gibt keine offene politische Opposition, politische Parteien sind verboten. Aber es gibt innerhalb der Taliban Männer, die eine eigene, starke Machtbasis haben, wie zum Beispiel Innenminister Siradschuddin Haqqani in Kabul. Zum Teil sind diese gemässigter als die religiösen Hardliner in Kandahar, zum Beispiel bei den Vorschriften für Mädchen und Frauen. Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada scheint die internen Widersacher aber fest unter Kontrolle zu haben.
Wie prekär ist die Menschenrechtslage für die Einwohnenden und die Frauen zurzeit?
Vor allem für Frauen ist sie sehr prekär: Mädchen dürfen ab Klasse sieben nicht mehr zur Schule gehen. Frauen dürfen keine Universitäten besuchen, sind von fast allen Berufen ausgeschlossen, dürfen nicht einmal im Park spazieren gehen. Andere müssen Angst haben, umgebracht zu werden, weil sie für die alte Regierung gearbeitet haben oder für die damaligen Besatzungsmächte. Die Taliban haben zwar versprochen, ihnen nichts anzutun, aber es gibt immer wieder Berichte von Menschen, die mitten in der Nacht abgeholt wurden und seitdem nie wieder aufgetaucht sind.