Das Recht auf Abtreibung ist weltweit umkämpft. In den USA oder in Polen beispielsweise wurden die Rechte auf Abtreibung jüngst massiv beschnitten. In der Schweiz sind auch die jüngsten Versuche, mehr Hürden im Prozess einzubauen, gescheitert. Die Initianten aus rechten Kreisen bekamen bei zwei entsprechenden Initiativen nicht die nötigen 100'000 Unterschriften zusammen.
SRF News: Sind Sie überrascht über das Scheitern der beiden Initiativen?
Cloé Jans: Ich hätte sehr viel darauf gewettet, dass diese beiden Initiativen an der Urne keine Chancen hätten. Dass die Initiantinnen und Initianten jetzt nicht einmal genug Unterschriften zusammen bekommen konnten, ist zwar keine riesige Überraschung; aber es zeigt schon, dass die Einschränkung der weiblichen Selbstbestimmung in der Schweiz nicht zieht im Moment.
Auch SVP-Exponenten unterstützten die Initiativen. Sie sagen selbst, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, zwei Initiativen gleichzeitig zu starten. Was sagen Sie dazu?
Das tönt für mich ehrlich gesagt ein bisschen nach einer Ausrede. Die beiden Initiativen hatten sehr ähnliche Anliegen. Dementsprechend wurde damit auch die gleiche Zielgruppe angesprochen. Man hätte also quasi zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen können. Dass es jetzt nicht geklappt hat, zeigt wohl eher, dass man sogar im Lager der SVP mitnichten enthusiastisch hinter diesen Vorlagen stand.
Lag es also vor allem an der fehlenden internen Geschlossenheit – auch innerhalb der SVP?
Im Moment stehen die Zeichen der Zeit eher auf eine Stärkung der Rechte der Frauen. Wir hatten beispielsweise eben erst eine grosse Debatte über die Revision des Sexualstrafrechts, wo es definitiv in eine andere Richtung ging als das bei diesen beiden Initiativen der Fall war. In der Schweiz sind die christlich-konservativen Kräfte einfach zu wenig stark. 2014 kam es bereits einmal zu einer Abstimmung, bei der es um die Finanzierung von Abtreibungen im Rahmen der Fristenregelung ging: Auch dort kam es zu keiner geschlossenen Zustimmung gerade bei SVP-Wählerinnen -und Wählern.
Wie stark unterscheidet sich die Schweiz in der Frage denn etwa zu den USA?
Die Religion – also die konservative Auslegung des Christentums – spielt in der Schweiz politisch eine stark untergeordnete Rolle. Das Thema kann politisch keine Sprengkraft entwickeln. Im Vergleich zu den USA ist es auch so, dass man im christlich-konservativen Milieu nicht automatisch vernetzt ist mit rechtskonservativen Gruppen. Religion spielt politisch einfach eine geringere Rolle.
Könnte es denn in naher Zukunft zu einer konservativen Gegenbewegung kommen?
Es gibt solche Bewegungen; aber dabei geht es eher um übergeordnete Identitätsthemen als um die Selbstbestimmung der Frauen. 2022 haben beim CS-Jugendbarometer doppelt so viele Jugendliche gesagt, dass sie sich eher der Klimabewegung angehörig fühlen als einer Religion. Das wird sich auch in Zukunft wohl nicht ändern.
Religion spielt politisch in der Schweiz einfach eine geringere Rolle.
Wie steht es um die politischen Chancen der Gegenseite: Könnte es in naher Zukunft zu einem Ausbau der Abtreibungsrechte kommen?
Das Beispiel der Revision des Sexualstrafrechts hat gezeigt, dass wer in diesem Bereich etwas verändern will, massiven Druck aufbauen muss. Da braucht es auch die Unterstützung der Zivilbevölkerung und es müssen breite Koalitionen über das progressiv-linke Lager hinaus und bis tief in den bürgerlichen Block hinein geschmiedet werden. Ich weiss nicht, ob das zurzeit zuoberst auf der Prioritätenliste steht.
Das Gespräch führten Silvia Staub und Nicolas Malzacher.