In Belarus ist seit Jahren Aleksander Lukaschenko an der Macht. Seit den Protesten nach den letzten Wahlen im Jahr 2020 hat er die Schraube der Repression massiv angezogen. Nun hat er aber in den letzten Monaten politische Gefangene begnadigt. Was er damit bezweckt, erklärt SRF-Korrespondent für Russland und Belarus, Calum MacKenzie.
Zeigt Lukaschenko mit diesen Freilassungen milde?
So soll es aussehen, aber in Wirklichkeit geht die Repression in Belarus weiter. Seit den grossen Protesten gegen Lukaschenko nach den offenkundig gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 ist die staatliche Repression sehr stark. Bis heute werten die Sicherheitsbehörden Videos von den Protesten aus, um Leute zu identifizieren und sie zu verhaften. Und es werden Leute verhaftet, weil sie zum Beispiel in den sozialen Medien einen kritischen Post geliket haben. Teilweise werden Begnadigte und Freigelassene kurz danach wieder angeklagt. Die Freilassungen sollen dies vertuschen und ein Zeichen nach aussen setzen.
Wer wird zurzeit freigelassen?
Das Regime betont, es seien aus humanitären Gründen ältere oder kranke Menschen oder Frauen, die Kinder haben, freigelassen worden. Ob das stimmt, ist schwer zu überprüfen. Unabhängige belarussische Menschenrechtsorganisationen haben einige Freigelassene identifiziert. Es sind vor allem jüngere Männer, die wegen kleinerer Vergehen verurteilt worden sind. In vielen Fällen wären sie sowieso bald freigekommen. Fakt ist: Über tausend Menschen sind in Belarus aus politischen Gründen immer noch in Haft. Von den bekannten Oppositionellen, die eingesperrt sind, hat man in vielen Fällen länger nichts mehr gehört. Man weiss teilweise nicht einmal, ob diese Leute noch leben.
Was bezweckt Lukaschenko mit diesen Freilassungen?
Lukaschenko hat seit eh und je vor Präsidentschaftswahlen – die er übrigens immer erwartbar haushoch gewinnt – ein paar Gefangene freigelassen, die im Westen als politische Gefangene galten. Es ist ein Zeichen, dass er bereit ist, mit der EU zusammenzuarbeiten. Doch die EU hat ihn nach den Wahlen 2020 und den niedergeschlagenen Protesten nicht als rechtmässigen Staatschef anerkannt. Lukaschenko hofft jetzt wohl, dass die Beziehungen zur EU nach den nächsten Wahlen neu gestartet werden können. Vielleicht rechnet er auch mit einem Waffenstillstand in der Ukraine, der einen solchen Neustart mit Europa begünstigen könnte. Russische Truppen haben ja unter anderem von Belarus aus die Ukraine angegriffen.
Wieso will sich Lukaschenko wieder etwas aus dem Griff Russlands lösen?
Bei den Massenprotesten 2020 war es Russland, das Lukaschenko gerettet hat. Es hat seine Sicherheitskräfte gestützt und seine Institutionen aufrechterhalten. Ein Beispiel sind die russischen Journalisten, die beim belarussischen Fernsehen eingesprungen sind, als die einheimischen Medienleute aus Protest gekündigt haben. Im Gegenzug wurde Lukaschenko von Putin völlig abhängig. Das hat ihm nie wirklich gepasst. In der Vergangenheit hat er versucht, mit allen Seiten eine für ihn vorteilhafte Beziehung zu pflegen. Das würde er gerne wieder tun, damit er selbst mehr Entscheidungsmacht hat. Die belarussische Wirtschaft hängt stark von der russischen ab. Aber Russlands Wirtschaft hat mit dem Krieg und den Sanktionen langfristig ein Problem und wird nicht immer so gut laufen wie jetzt. Das erkennt auch Aleksander Lukaschenko.